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„Der Tag, an dem meine kleine Tochter an einem Hustensaft starb…“

Sandra ist Mama von vier Kindern. Davon leben noch drei. Ihre kleine Zwillingstochter Denise starb nach der Einnahme eines codeinhaltigen Hustensaftes. Das war im Jänner 2015. Nach vielen durchweinten Nächten hat die 40-jährige Niederösterreicherin nun einen Entschluss gefasst: „Ich werde klagen. Für meine Tochter, für meine Familie und viele andere Kinder, die da draußen sind…“

Dein Leben hat sich von einem Tag auf den anderen verändert. Und alles begann mit einem Husten. Magst du davon erzählen?

Es war Mitte Jänner. Meine Zwillinge waren damals vier Jahre alt. Sie waren stark verkühlt. Und weil die klassischen Mittel wie  Schwarzkümmelöl und Co. nicht halfen,  und vor allem Denise nicht aufhörte zu husten, machte ich einen Termin beim praktischen Arzt aus. Ich dachte einfach „Es gehört angeschaut.“ Denise erbroch im Wartezimmer Schleim vom vielen Husten. Und wir bekamen einen codeinhältigen Hustensaft verschrieben, nachdem das Schwarzkümmelöl ja keine Wirkung zeigte. Ich gab meinen Zwillingen den Hustensaft und es ging ihnen eigentlich darauf besser. Ich legte die zwei schlafen im Wohnzimmer auf der Couch und legte mich dazu. In der Nacht kuschelte Denise sich zu mir auf meine Brust und sagte „Mama ich hab dich lieb“ und schlief weiter. In der Früh stand ich auf machte mir Kaffee und es beunruhigte mich dass sie so weit oben lag. Ich zog die Kleine ein Stück hinunter und wunderte mich, dass  keine Reaktion kam. Ich fühlte nur das sie kalt war und sah, dass ihre Lippen und die Zunge blau waren. Es war, der 22. Jänner 2015. Es war ein nasskalter Tag. Grau und düster.
Denise und Melanie – das ist eines der letzten Fotos der Zwillingsmädchen.

Furchtbar! War dir in dem Moment klar, dass die Kleine tot ist?

Nein. Ich hab in der Moment einfach nur funktioniert. Es war alles wie in Zeitlupe – da hat man keine Zeit nachzudenken. Ich rannte zu meinen großen Kindern um sie zu Hilfe zu holen. Sie schnappten sie und wollten an die Luft gehen während dessen rief ich die Rettung die uns genaue Anweisung gab was wir tun mussten meine große Tochter reanimierte Denise bis die Rettung  eintraf. Die Sanitäter übernahmen dann und fuhren ins SMZ-Ost mit ihr. Ich erfuhr erst im klosterneuburger Spital, dass es  zu spät war und meine Denise zu Hause schon tot gewesen ist.

Weiß man warum das passiert ist?

 Bei Melanie, dem anderen Zwillingsmädchen, wurde ein Gentest veranlasst wo wir erfuhren, dass es Leute gibt die Codein zu schnell in Morphin umwandeln… Meine Tochter ist quasi an einer Morphin-Überdosis gestorben. Für uns ist eine Welt zusammen gestürzt, ich konnte nicht mehr arbeiten gehen, meine Tochter brach ihre Ausbildung zur Krankenschwester ab und mein Sohn spricht heute noch  nicht wirklich darüber. Zwillingsschwester Melanie verstand nicht warum Denise nicht mehr kommt… Das versteht sie heute noch nicht.

Wer hat euch in dieser schweren Zeit unterstützt?

Familie, Freunde – ich hatte relativ guten Rückhalt. Dafür bedanke ich mich gerne an dieser Stelle. Ich habe damals von einem Anwalt Angebot bekommen, wenn ich seine Hilfe brauche soll ich mich melden… Es war alles nicht einfach und ich kam erst später auf sein nettes Angebot zurück. Zu groß war die Trauer. Aber unsere Geschichte hat sich bald verbreitet wie ein Lauffeuer und ich wurde von zahlreichen Medien kontaktiert. Faktum ist, dass es schon 2013 die Empfehlung an Ärzte gab, dass codeinhältige Medikamente nicht für Kinder geeignet ist. Darunter fällt also auch dieser Hustensaft. Zwei Monate nach dem Tod von Denise wurden codeinhältige Arzneimittel nun generell für unter 12-Jährige Kinder verboten. Was mein Anwalt Franz Kienesberger und ich besonders schlimm finden: Wenn es schon 2013 eine Empfehlung gegeben hat, das Medikament nicht an Kinder zu verabreichen, warum wurde es nicht sofort verboten? Die Firma wusste ja offensichtlich, dass es für Kinder nicht geeignet ist, da es ja eben genau diese Empfehlung gab. Und noch eine Frage stellt sich: Wie viele Medikamente mit einschränkenden Empfehlungen sind noch im Umlauf? Und was muss passieren, damit diese dann endlich verboten werden?

Wen genau klagt ihr jetzt? Ärzte oder Pharmafirmen?

Wir klagen die Pharmafirma, die auf der Verpackung drauf steht. Und laut Gesetz deswegen als Hersteller gilt. Und die Firma, die auf dem Beipackzettel als Hersteller ausgegeben ist. Uns wurden von der Pharmafirma 20.000 Euro als seelisches Schmerzensgeld in einem Vergleich angeboten – das ist natürlich nicht annehmbar und eigentlich eine Frechheit. Kein Geld der Welt macht mein Mädchen wieder lebendig, aber 20.000 Euro sind fast ein Witz, wenn man bedenkt, dass ein kleines Kind gestorben ist, das sein ganzes Leben noch vor sich hatte. Und dass eine ganze Familie aus ihrem Alltag gerissen wurde. Ich wollte mit der ganzen Aufmerksamkeit, die die Medien uns gegeben haben erreichen, dass es kein Kind mehr erwischt, aber das bringt mir meine Tochter nicht zurück.

Wie ist euer Alltag heute?

Wir wursteln uns halt so durch das Leben. Mal ist es besser, mal ist es schlechter. Ich bin alleinerziehend und gehe wieder arbeiten. Faktum ist, dass man den Tod eines Kindes wohl nie vergessen kann. Es ist wie eine Narbe, die man jeden Tag sieht. Die ein wenig verblasst. Die einen aber ständig begleitet und die da ist. Manchmal tut so eine Narbe mehr weh, manchmal weniger. Dadurch, dass Melanie – also die Zwillingsschwester von Denise, täglich sehe, denke ich natürlich auch: Wie es jetzt wäre, wenn das zweite Mädel noch da wäre? Wie sie sich wohl entwickelt hätte?
 
Danke liebe Sandra, dass du darüber gesprochen hast. Dein Weg ist sehr mutig und du bist eine beeindruckende Frau! Wir wünschen dir viel Kraft und alles erdenktlich Gute!
 
 
 

9 comments

  1. Ich finde es schön, dass Sandra sich den Mut gefasst hat, darüber zu reden. Ich finde es ganz ganz furchtbar, was sie durchmachen musste und bin sicher, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hat.
    Alles Gute!
    Lara

  2. Hallo Ihr lieben,
    ich wünsche Sandra ganz viel Kraft!
    Als ich den Text gelesen habe sind mir Tränen in die Augen gestiegen. Der Verlust eines Kindes ist nach meiner Meinung eine unüberwundbar ständig offene Wunde. Jeder Tag erinnert.
    Am liebsten möchte man wie in dem Lied von Glashaus rufen: Haltet die Welt an
    den es fehlt jemand so wichtiges. Und das wegen eines sch… verschrieben Hustensaftes mit so einer tötlichen Wirkung. Sandra wünsche ich viel Erfolg in Ihrem Rechtsstreit. Und hoffe das sie Stark bleibt. Fühl dich gedrückt liebe Sandra.

    Liebe Grüße

  3. Ein ganz, ganz schlimmer Schicksalsschlag!
    Ich wünsche Sandra und ihrer Familie ganz viel Kraft und trotzdem Optimismus!

  4. oh mein Gott. Ich sitze hier und mir laufen die Tränen. Ich wünsche Dir, Sandra, dass ihr einen Erfolg bei der Klage erzielt. Und weiterhin ganz viel Kraft in deinem Alltag.

  5. Eva-Maria Oehme

    Alles Liebe und Gute.

  6. Das ist eine furchtbar traurige Geschichte und hätte nie passieren dürfen! Mein herzliches Beileid. Wie ist der Stand der Dinge heute? Meine Freundin hat gerade auch ihre Tochter verloren. Plötzlicher Kindstod. Sie steht unter Schock. Ich habe ihr angeboten, die Kinderbestattung zu organisieren. Es wird nichts mehr sein wie früher.

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