Ich schreibe diesen Text aus zwei Perspektiven: Zum einen als Mutter von vier Kindern, zum anderen als klinische Psychologin mit Schwerpunkt Kinder- und Jugendtherapie.
Im privaten Umfeld erlebe ich meine gesamte Familie als Geisel der heutigen Zeit geprägt und gelenkt von Tablet, Smartphone etc.. Die laufenden Diskussionsthemen: “Handy weg beim Essen”, “Kommt aus den Zimmern”, “Lasst uns einen Spaziergang machen”, “Mama / Papa gib uns mehr Bildschirmzeit!!!”. Wir hätten kaum Diskussionen ohne diese Geräte, die versuchen, unsere Aufmerksamkeit jede Sekunde zu fesseln.
Smartphones / Tablets / Soziale Medien sind die größte Konkurrenz für soziale Beziehungen und ein gelungenes Leben. Kindern und Jugendlichen wird das Leben ohne ständige Reizüberflutung zu langweilig. Sie können mit sich und der Welt nichts mehr anfangen, da sie es von klein auf gewohnt sind, sich stets von Langeweile oder Gedanken abzulenken. Sie können kein Buch mehr lesen, da es zu reizarm ist. Wie soll diese Generation noch lernen, arbeiten oder studieren?
Fakt ist: Für uns als Eltern ist es kaum möglich, ein Freizeitprogramm zu gestalten, mit dem wir unsere Kinder von den giftigen Dingen wegbekommen. Das zugrundeliegende Problem ist, dass es kaum mehr Jugendliche und Kinder ohne eigenes Handy und/oder Tablet gibt.
Nur wenige Eltern schränken die Nutzung auf eine geringe und altersadäquate Zeit ein. Für Eltern, die solche Einschränkungen setzen und Interesse an Aktivitäten mit Peers für ihre Kinder haben, wird es immer schwieriger, Buddys zu finden, die mit ihren Kindern noch etwas unternehmen / spielen wollen. Es liegt in unserer Verantwortung als Eltern, uns gegen diesen Druck zu stellen, dagegen anzukämpfen, dass unsere Kinder nicht gesund sind und sich schlecht entwickeln, dass sie die schöne, sorgenfreie Zeit der Jugend und Kindheit zuhause, sozial zurückgezogen und depressiv verbringen. Voller Sorge, Minderwert, Unsicherheit etc.
Warum werden unsere Kinder süchtig? Die Entwickler diverser Social Media Apps arbeiten mit psychologischen Grundsätzen, um die Nutzer:innen so schnell wie möglich abhängig zu machen. Die Kinder und Jugendlichen schütten bei der Aktivierung der Medien Dopamin aus, ein körpereigenes Hormon, das mit Belohnung und Glück in Verbindung steht.
Das Problem dabei ist, dass sich dieses Hormon angenehm anfühlt, jedoch immer mehr von der “Substanz” verlangt. Das heißt, es macht nicht zufrieden (wie etwa Serotonin, das ich bei einem lustigen Abend mit Freund:innen ausschütten kann), sondern es erhöht ein Drängen. Und dieses Drängen wird immer stärker.
Die Kinder und Jugendlichen sind in ihrer Hirnentwicklung noch nicht so weit, dieses Gefühl ausreichend kontrollieren zu können, daher geben sie dem Verlangen nach. Scrollen stundenlang auf ihren Displays und verschwenden ihre Zeit mit Videos, sozialen Medien oder Zocken. Das, was uns das Internet bietet, hört niemals auf! Ich kann mir als Kind unendlich viele Videos anschauen, Nachrichten schicken oder streamen. Es gibt kein Ende.
Zudem ist im Internet jeder gleich alt – eine große Gefahr, die nicht gerne gesehen wird. Laut Studien zeigt der Personalisierungs-Rhythmus von TikTok nach 260 Videos massiv Wirkung und die Nutzung wird daraufhin zur Gewohnheit. So könne man innerhalb von kurzer Zeit süchtig werden.
Die Forscher:innen haben herausgefunden, dass die zwanghafte Nutzung von TikTok eine Reihe negativer Auswirkungen auf die psychische Gesundheit haben kann: Verlust analytischer Fähigkeiten, Angstzustände, Essstörungen und Beeinträchtigung von Gedächtnisbildung, des kontextuellen Denkens, der Gesprächstiefe sowie der Empathie.
Zudem schränkt die Nutzung wesentliche persönliche Verpflichtungen ein, etwa den Kontakt zu geliebten Menschen. (Quelle: Standard online am 15.10.2024)
Soziale Kontakte aus dem echten Leben werden in online Kontakte getauscht, da diese Form viel bequemer ist: Ich muss nicht raus, kann im Bett liegen und wann immer ich möchte, tausche ich mich aus, ohne meine Zone zu verlassen.
Dass jedoch bei online Kontakten sehr wichtige Teile von Kontakt fehlen, ist den meisten nicht bewusst. Diese können kein ausreichender Ersatz sein für echte, gefühlte Kontakte und Freundschaften. Smartphones etc. halten uns davon ab, Erfahrungen im Leben zu sammeln. Smartphones rauben uns den Schlaf, der wichtig ist für gute Laune und Konzentrationsfähigkeit. Zudem haben wir als Eltern das Gefühl, unsere Kinder zumindest adäquat beschäftigen zu müssen, da es ja keine Freund:innen mehr draußen gibt.
Und wir Eltern sind ohnmächtig. Wir glauben, nichts dagegen tun zu können, da bei Abnahme des Gerätes eine unglaubliche Verzweiflung, Wut und Aggression aufsteigt, mit der wir überfordert sind.
Daher mein dringender Appell: Wir müssen gemeinsam an einem Strang ziehen, die Kinder wieder raus in die Welt holen und gemeinsam die Zeit auf den Endgeräten einschränken. Nur so schaffen wir es, einer zukünftig leistungsunfähigen, depressiven und angstgestörten Generation entgegenzuwirken. Wenn wir die Bildschirmzeit einschränken und die Kinder wieder Möglichkeiten haben, sich draußen im echten Leben zu treffen, sich zu unterhalten, einander mit Augenkontakt anzulächeln – nur dann können wir es schaffen!
Unser ganzer Körper benötigt das echte Leben, um sich gesund zu entwickeln. Die Augen benötigen das Tageslicht, die Hormone im Körper benötigen Berührungen, der Kreislauf Bewegung. Und was tun wir? Wir stimmen zu, dass unsere Kinder in ihren kritischen Phasen der Entwicklung stundenlang zurückgezogen vor den Bildschirmen hängen. Viele Eltern verzweifeln und wissen nicht mehr, was richtig ist. Angst, Depression, Selbstverletzung und Essstörungen haben stark zugenommen, auch das Suchtverhalten nimmt immer mehr zu.
Die Gesellschaft, die sich jetzt entwickelt, kann nicht mehr lernen, leisten und lachen. Bei schlechter Stimmung und Antriebslosigkeit können auch die Synapsen im Gehirn nicht mehr ausreichend feuern, um Informationen weiterzugeben. Die Psychiatrischen Kliniken sind mit ihren Kapazitäten am Limit. Wir lesen durchgehend von mangelnden Fachkräften, fehlenden Stationen, aber der Appell an die Verantwortung der Eltern fehlt. In vielen Bereichen gelingt das Leben nicht mehr so gut wie noch vor der Erfindung sozialer Medien.
Die psychische Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen ist auf einem Tiefstand. Wir haben die Zukunft unserer Kinder und unserer Gesellschaft in der Hand! Es ist noch Zeit, bis die Gesellschaft kippt. Ziel sollte es sein, dass sozial kompetente, leistungsfähige und psychisch gesunde Erwachsene aus unseren Kindern werden. Doch immer mehr Eltern geben den Kampf auf und verlieren damit ihre Kinder.
Es gibt niemanden, der uns Richtlinien gibt. Die Schule und das Bildungssystem setzen kein generelles Handyverbot um, obwohl bewiesen ist, dass die Aufmerksamkeit deutlich reduziert ist, wenn das Handy im Klassenraum ist.
Die Kinder nutzen ihre Pausen nicht mehr, um sich zu unterhalten, sie schicken sich gegenseitig Snaps und Bilder, um möglichst viele Flammen miteinander zu haben. Das Handy wenige Stunden nicht bei sich zu haben, nicht erreichbar zu sein, halten viele Jugendliche nicht mehr aus, da sie sich nur noch über diese Geräte und die positiven Belohnungsmechanismen, die unser Gehirn bei der Nutzung auslöst, definieren.
Wir müssen aufhören, uns darauf zu verlassen, dass es irgendwann eine Instanz geben könnte, die uns die Verantwortung abnehmen wird und wir müssen aufhören, wegzuschauen.
Wegzuschauen ist unseren Kindern gegenüber unfair, da sie zu jung sind, um diese Entscheidungen selbst zu treffen. Ihr Gehirn ist noch nicht in der Lage dazu.
Ich persönlich empfehle daher geringe und stark eingeschränkte Bildschirmzeit:
● Unter 10 Jahre: Keine Nutzung von eigenen Geräten
● 10-12 Jahre: max. 35-50 Minuten
● 13-14 Jahre: 1-1,5 Stunden
● 15-17 Jahre: max. drei Stunden
(Wenn abends als Familie eine Serie oder ein Familienfilm geschaut wird, zählt es nicht dazu, da dies als Beziehungsarbeit zu sehen ist.)
Natürlich müssen auch wir Eltern als Vorbilder agieren. Klare Regeln und Zeiten müssen auch von den Erziehungsberechtigten eingehalten werden. Auch wir haben es verlernt, nicht durchgehend mit den Sozialen Medien, Smartphones etc. in Verbindung zu stehen.
Liebe Katharina,
Ich finde den Text (leider) super! Es wird dringend Zeit, dass es mehr Regularien gibt. Ich würde mich total gern mit der Schreiberin austauschen und vielleicht sogar eine Petition auf die Beine stellen. Ich bin selbst auch Psychotherapeutin und Mutter von 3 Kindern und sehe ganz dringenden politischen Handlungsbedarf. Vielleicht hat die Verfasserin ja Lust mit mir in Kontakt zu treten? Liebe Grüße! Christiane