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Die Wiener Journalistin Menerva Hammad. (Foto: Asma Aiad)

Gastbeitrag: „Ich, die Kopftuchmutter“

Ich bin Journalistin. Ich bin muslimische Journalistin. Ich bin muslimische Journalistin die in Österreich aufgewachsen ist und über Feminismus schreibt. Seit einem Jahr kommt dazu, dass ich Mutter bin. Eigentlich nichts Aufregendes. Jedenfalls nicht für mich. Auch nicht für meine Tochter, aber für viele andere (meistens Frauen) in der Gesellschaft schon….

Monate nach der Geburt meiner Tochter habe ich einen Kanga-Kurs belegt. Das ist ein Workout für tragende Mütter und macht unheimlich viel Spaß. Während dem Kurs legte ich das Kopftuch ab, denn wir waren nur Frauen. Vor dem Gehen band ich mir mein Kopftuch um und eine der anderen Mamis fragte: “Warum trägt deine Tochter kein Kopftuch?“ Ich wusste nicht recht, ob die Frage ernstgemeint war, beantwortete diese aber trotzdem: “Sie ist ein Baby.“ Sie merkte selber, dass die Frage bewies: Sie hatte keine Ahnung.

Seit über 100 Jahren ist der Islam eine anerkannte Religion in Österreich, aber viele haben einfach keine Ahnung. Alles was die meisten wissen ist: Musliminnen sind unterdrückt, können kein Deutsch, sind dauerschwanger, heiraten jung und arbeiten als Putzfrauen. Sind sie Schuld? Zum Teil. Wir Muslime tragen aber auch Mitschuld daran. Ich wollte gehen, kehrte dann doch zurück zu ihr, stellte mich vor und fragte sie, ob sie und ihr Sohn vielleicht zu uns nach Hause möchten? Ich hätte den Vormittag die Wohnung für mich. Einfach so, auf ein Kennenlerndate.

Zu meiner Überraschung war sie mehr als glücklich damit. Sie kamen zu uns, wir hatten einen netten Tag, wir stillten unsere Kleinen gemeinsam,  jausneten währenddessen und sprachen über unsere Männer.

Und irgendwann fragte sie wieder: “Ich weiß, meine Fragen sind doof, aber ich habe noch eine. Darf ich?“

Ich lachte: “Schieß los!“

„Du kommst so emanzipiert rüber. Wie geht das als Muslima? Du hast auch Zeichnungen von nackten Frauen auf den Wänden. Dürft ihr das? Bist du Künstlerin?“

Ich überlegte kurz. Wenn ich ihr die Dinger von meiner Sicht erklären würde, würde sie sie nicht verstehen. Ich musste sie aus ihrem Verständnis erklären (sie war Veganerin), damit sie sie nachvollziehen konnte. Ich versuchte es so: “Ich habe eine Freundin, die vegan ist, und sie ist extrem emanzipiert.

Sie verstand den Zusammenhang nicht, deswegen erklärte ich ihr: “Keiner wird vegan geboren. Eines Tages entscheidet man sich dazu, oder die Eltern tun es für einen. Und was entscheidet man? Dass man auf bestimmte Lebensmittel verzichten möchte. Du baust dir deinen eigenen Rahmen auf. Du verzichtest auf bestimmte Dinge aus freien Stücken. Es gibt Menschen, für die wäre es unvorstellbar auf Fleisch zu verzichten und für andere ist es eine Lebensphilosophie.

Für mich ist der Islam meine Lebensphilosophie

Nicht jener über den man in Boulevardzeitungen liest, sondern jener, der in Büchern steht. Nicht was, sondern, dass ich überhaupt entscheiden darf, DARIN liegt die Freiheit. Meine Freiheit. Mein Rahmen, den ich so setze, wie ich möchte. Und um deine Frage mit den nackten Körpern zu beantworten. Ich bewundere den weiblichen Körper. Schau´ doch was er leistet. Er trägt und gibt Leben. Er ernährt dieses Leben. Es gibt ihn in allen Farben und Formen. Nacktheit, oder Verhüllung sind nicht das Problem.

Wenn du dich im Minirock gut fühlst, dann trag´ ihn, wenn du lieber ein Kopftuch tragen möchtest, dann trag´ das, aber mach dich nicht selbst zu einem Produkt um anderen zu gefallen und nenne das dann Freiheit. Das ist eben die eine Sache mit der ich sehr wohl ein Problem habe, denn Nacktheit wird oft mit Freiheit gleichgestellt, obwohl Freiheit doch nur im Kopf stattfinden kann.“

Sie riss beide Augen und ihren Mund auf: “WOW! Ich hatte ja keine Ahnung, dass ihr so tickt. Du musst jetzt denken ich sei total ignorant. Aber ich bin echt keine Rassistin oder so.“ “Nein, du bist nicht ignorant, auch keine Rassistin, das weiß ich schon. Oder anders gesagt, wir haben alle Vorurteile. Ich saß einmal im Bus und gegenüber von mir war ein von oben bis unten tätowierter, vollbärtiger Typ, der furchteinflösend aussah.

Ich habe mir alles Mögliche gedacht, als ich den sah. Irgendwann stieg eine wunderschöne Blondine mit einem Kind ein und sobald er das Kind sah, lächelte er herzlich, hat den Buben auch noch mit Küsse und Umarmungen begrüßt. Muss der Vater gewesen sein oder so. Und genau da habe ich ihn ertappt, den kleinen ignoranten Trottel der in mir hauste. Den haben wir ALLE! Das ist normal, nur wir dürfen ihm nicht viel Luft lassen. Du bist damit also bei Gott nicht alleine. Noch mehr Hummus?“

Sie lächelte:„Ja liebend gern.“ Ab hier sprachen wir nur noch über unsere Kinder und waren nicht eine Atheistin und eine Muslima, sondern zwei Mütter, die seit Monaten nicht geschlafen hatten. Ich genoss die wenigen Stunden mit ihr und ich bin froh, sie eingeladen zu haben. Als wir uns verabschiedeten standen wir noch an der Tür, sie bedankte sich bei mir und sagte, sollte ich irgendwann ein Buch schreiben, würde sie es kaufen. Wir lachten beide und sie drückte mich noch bevor sie ging. Nämlich so, als sei ich eine Freundin, keineswegs eine Fremde.

 

Über die Autorin

Menerva Hammad lebt und arbeitet (meistens) in Wien. Die 27-Jährige ist gebürtige Ägypterin und Mutter einer Tochter. In ihrer Freizeit beschäftigt sie sich gerne mit Reisen – ihren absolut lesenswerten Blog „Hotel Mama“ gibt es auf Facebook & Instagram.

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7 comments

  1. Petra Hamacher

    Schwalbenstr. 2

  2. Toller Beitrag

  3. Ein klasse Beitrag :)

  4. Vielen Dank für diesen Beitrag. Sehr schön zu lesen, dass Menerva der anderen Mutter gegenüber so aufgeschlossen war und nicht verletzt reagiert hat. Es macht Lust auf den Blog hotelmama

  5. Ich hab mir den Artikel schon als du ihn auf Facebook gepostet hast auf die Leseliste getan und bin sehr froh ihn endlich gelesen zu haben! Super Beitrag, der einem ein bisschen die Augen öffnet, auch wenn man sich noch so bemüht und es besser weiß, gegen Unbekanntes hat man Vorurteile. Nur darüber nachdenken hilft das zu ändern!

    LG

    • So sollte Religion gelebt werden, doch so frei sind leider nicht alle Muslime. Viele haben keine Wahl, wie sie ihr Leben leben. Der Druck in der Familie ist zu gross und der Umgang mit der Religion zu dogmatisch, um andere Sichtweisen zuzulassen. Wäre interessiert wie repräsentativ dieser Beitrag für deutsche Moslems ist.

  6. Echt schön geschrieben! Genau die richtige Dosis Humor & Gesellschaftskritik :)

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