Anastasiya berichtet, wie es ihrer Familie in der Ukraine geht.

Krieg in der Ukraine: „Meine Schwiegereltern sitzen seit zwei Tagen im Bombenversteck“

Anastasiya (38) kommt aus der Stadt Kryvyi Rih aus der Zentralukraine und hat in Kyiw internationale Wirtschaft studiert. Im Zuge eines Austauschprogrammes ist sie vor 17 Jahren nach Wien gekommen, wollte nach dem Studium noch Berufserfahrung sammeln – und ist geblieben. Sie lebt mit ihrem Mann, einem gebürtigen Ukrainer, und ihren fast dreijährigen Zwillingen in Wien.

Liebe Anastasiya, das Wichtigste zuerst: Wie geht es deinen Freunden und deiner Familie in der Ukraine? Bist du mit ihnen in Kontakt? Was berichten sie?
Mein Mann ist auch Ukrainer, wir haben Verwandte und Freunde über das ganze Land verstreut. Für uns ist die Situation nach wie vor unfassbar, wir sind seit Donnerstag wie in Trance und können an nichts anderes mehr denken. Natürlich, die Anzeichen haben sich in den letzten Wochen verdichtet und wir haben auch versucht unsere Eltern zu überreden, sicherheitshalber zu uns zu kommen – leider ohne Erfolg. Noch letzten Mittwoch, nur noch wenige Stunden vor Ausbruch des Krieges, haben wir telefoniert und sie waren sicher, dass es nie zu einem Angriff von Russland kommen kann. Momentan ist die ganze Ukraine ein einziger Kriegsschauplatz, Häuser von Privatpersonen, Kindergärten und Krankenhäuser werden bombardiert – man ist nirgends sicher. In Kyiw herrscht aktuell eine Ausgangssperre, auf den Straßen wird immer wieder geschossen und Soldaten in Zivilkleidung versuchen, sich vorzukämpfen. Auch in mehreren Vororten von Kyiw wird hart gekämpft. Meine Schwiegereltern sitzen bereits seit 2 Tagen im Bombenversteck. Unsere Eltern werden nicht versuchen zu fliehen. Für meine Schwiegereltern ist das aufgrund von Lebensgefahr in der Region gar nicht möglich. Meine Eltern wollen das Risiko auch nicht eingehen. Wie sollen sie die 1000 km zu der Grenze schaffen? Mit dem Auto ist es nicht möglich, es gibt einen Mangel an Benzin und man bekommt max. 20 Liter nach stundenlangem Warten, die wenigen Züge sind überfüllt und nicht mehr ganz sicher. Es herrschen chaotische Zustände und wir beten, dass unsere Liebsten das heil überstehen.

Kannst du uns deine Gefühle aktuell beschreiben?
Ich schlafe aktuell kaum und bin permanent am Handy, um mich über die aktuellen Vorkommnisse zu informieren. Ich bin regelrecht paralysiert, unser Alltag hat sich seit Donnerstag total geändert. Wir sind gerade dabei, unser neues Heim zu planen und am Freitag musste ich auf die Baustelle. War es bislang wichtig, welche Details dort in den einzelnen Räumen sein werden, so ist das aktuell alles so weit entfernt und unwichtig. Mir geht es nicht gut dabei zu wissen, dass es meiner Familie und vielen Freunden in der Ukraine so schlecht geht, während wir hier ein ruhiges Leben in Sicherheit führen.
Gleichzeitig bin ich aber auch stolz auf die Ukrainer, die nun für ihre Freiheit kämpfen wollen wie David gegen Goliath und sich nicht unterkriegen lassen. Die Männer von Freundinnen – allesamt Familienväter und in „normalen“ Jobs – haben sich freiwillig gemeldet für Sicherheitsdienste. Ich weiß auch von Bekannten, die Frau und Kinder über die Grenze gebracht haben und dann freiwillig zurück gekehrt sind, um für unser Land und die Freiheit zu kämpfen.

Wie informierst du dich über die aktuellen Geschehnisse?
Am liebsten aus erster Hand, wir stehen mehrmals täglich mit Familienmitgliedern telefonisch in Kontakt. Ich bin auch via WhatsApp und Telegram mit Bekannten und ehemaligen Studienkollegen in Kontakt – jeder berichtet von den Zuständen in seiner Region, die Bilder die ich bekomme sind furchtbar. Ich lese außerdem noch die offiziellen Informationen der ukrainischen Regierung und österreichische und ukrainische Medien. Momentan werden in Russland und in der Ukraine viele Fake News verbreitet, um das Volk zu verunsichern – deshalb ist es so wichtig, die Quellen und Infos zu überprüfen.

Deine Kinder (Anm.: Zwillinge, fast 3) sind noch klein-bekommen sie etwas mit? Wie erklärst du ihnen die Situation?
Sie sind noch zu klein, um all das zu verstehen. Sie spüren aber natürlich, dass wir als Eltern sehr in Sorge sind. Auch wenn ich versuche, nicht neben ihnen allzu viel zu weinen, merken sie natürlich, dass etwas Schlimmes passiert. Ich erzähle ihnen dann, dass ein böser Mensch in unser Land gekommen ist und es erobern will und viele Leute und Kinder ihre Häuser verlassen müssen. Und dass ihre Großmutter deswegen auch nicht wie geplant in einer Woche zu uns auf Besuch kommen kann.

Viele Menschen wollen helfen – hast du Einblicke, wie man direkt helfen kann?
Die meisten Hilfsorganisationen organisieren aktuell Hilfe für die Ukraine, man kann also mit Geldspenden helfen. Die Hilfsbereitschaft der Nachbarländer der Ukraine und den anderen europäischen Ländern ist einfach überwältigend! Die ukrainische Community in Wien ist sehr gut organisiert und vernetzt und sammelt Sachspenden, die dann direkt bis zur Grenze gebracht und von dort in die Regionen je nach Bedarf verteilt wird. Außerdem ist es wichtig an den Kundgebungen teilzunehmen für den Frieden in der Ukraine und härtere Sanktionen gegen Russland.

Was denkst du wird in den nächsten Wochen noch passieren?
Niemand kann aktuell einschätzen, was demnächst passieren wird – mir ist es aber ein persönliches Anliegen, dass die Welt erfährt, was in der Ukraine passiert und alle Mittel einsetzt um den Krieg von Russland aufzuhalten.  Es geht nicht mehr „nur“ um die Ukraine, sondern um die Freiheit, Demokratie und Europa im Allgemeinen.

 

Wer schreibt hier eigentlich?

Vier Kinder, zwei Katzen, ein Mann: Das Leben in der Grazer Vorstadt ist für PR-Profi Barbara nie langweilig. Wenn sie nicht als Mama-Taxi ihre Kinder von A nach B kutschiert, plant sie Reisen und Wanderrouten. Sie liebt Bücher und findet manchmal sogar Zeit eines zu lesen. 

1 Kommentar

  1. Sehr gut. Gerade sie, gerade die Menschen aus der Ukraine müssen bei uns eine Stimme haben. Wir müssen sie hören und sehen!
    Danke!

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