Mehr als zwei Wochen lag Elisa mit geplatzer Fruchtblase im Krankenhaus. Sie hing an der Tokolyse, bevor schließlich bei 32 +4 ihre Zwillingsjungs zur Welt kamen. Doch wie ist so eine Frühgeburt? Worauf muss man sich einstellen? Ein bewegendes Interview mit einer frisch gebackenen Zwillingsmama aus dem Ruhrgebiet, die erst lernen musste, eine Bindung zu den Frühchen zu bekommen. Elisa betreibt den Mamablog „Doppelte Überraschung!“.
In welcher SSW sind deine Kinder zur Welt gekommen? Warst du vorher schon im Krankenhaus?
Ich wachte morgens an 30+5 schlagartig auf und wusste, dass meine Fruchtblase geplatzt war. Ich blieb aber ganz ruhig und meine erste Sorge war, dass ich das Bett komplett einsauen würde. Der Herzmann brachte mir Handtücher und irgendwann traute ich mich zur Toilette während er schon den Krankenwagen rief. Als Liegendtransport kam ich dann ins Krankenhaus. Ich hatte ein großes Badetuch zwischen den Beinen, welches nach kurzer Zeit komplett durchnässt war. Ein Arzt wollte/musste trotzdem prüfen, ob es Fruchtwasser war. Meinen Blick kann man sich bestimmt vorstellen als ich so mit diesem Handtuch zwischen den Beinen vor ihm stand. Und natürlich war es Fruchtwasser. Ich dachte: Blasensprung = Geburt. Aber in so einer frühen Woche tut man alles, um genau dies zu verhindern. Geboren wurden beide dann an 32+4 und ich war die ganze Zeit im Krankenhaus- mit strenger Bettruhe.
Wie war die SS?
Die Schwangerschaft ansich war sehr schön für mich. Ich hatte zwar schon frühzeitig (ab der 16. SSW) Symphysenschmerzen aufgrund einer Lockerung und starke Ischiasbeschwerden, doch mit mehr hatte ich ehrlich gesagt nicht zu kämpfen. Das Laufen fiel mir schwer und etwa 2 Wochen vor dem Blasensprung zog der Bauch schon stark nach unten, was längere Wege schnell unmöglich machte. Ich habe das Schwangersein trotzdem genossen und habe die Kugel stolz vor mir hergeschoben!
Hattest du am Beginn der SS schon etwas von Frühgeburten gehört? Warst du überrascht?
Frühgeburten waren mir natürlich geläufig. Erst Recht als ich hörte, dass wir Zwillinge erwarteten. Allerdings hatte ich mich absichtlich nie intensiv damit befasst. Horrorgeschichten brauchte ich nicht. Wie es tatsächlich wird, konnte mir schließlich niemand sagen. Und so hoffte ich einfach das Beste. Schließlich ist es heutzutage auch nicht mehr ungewöhnlich, wenn Zwillinge weit über die SSW 35 ausgetragen werden.
Wie war die Geburt?
Die Geburt kam überraschend. Ich hatte am Vortag leichte Wehen trotz Wehenhemmer mit maximaler Dosis. Es zog mal etwas und eigentlich wollte ich mir da noch nicht eingestehen, dass es Wehen sein könnten. Mein Unterbewusstsein wusste aber genau, was abging. Am nächsten Morgen gegen 5 Uhr etwa musste ich schon langsam beginnen, diese leicht zu veratmen. Auch da hatte ich noch nicht das Bedürfnis, einer Schwester Bescheid zu geben. Meine Bettnachbarin bat mich aber darum. Zuvor ging ich noch auf Toilette und klingelte erst dann. Mittlerweile war es etwa 7 Uhr. Und ich musste wirklich pusten und mich auf das Atmen konzentrieren, damit es nicht allzu weh tat. Kurz darauf wurde ich zum CTG in den Kreißsaal geschoben. Dort sollte ich etwa eine Stunde bleiben. Da lag ich nun allein in meinem Krankenhausbett im Kreißsaal an dem Wehenschreiber und schrieb dem Herzmann, wo ich sei und dass ich mich so allein fühlen würde. Er fragte, ob er noch zuende frühstücken könne (wir wohnen nur etwa 10 Minuten vom Krankenhaus entfernt). Und ich sagte, das könne er ruhig tun.
Mit einem Mal bekam ich schlimme Schmerzen. Irgendwie waren sie im Rücken. Irgendwie im Unterleib. Ach, eigentlich überall. Binnen von Sekunden war ich im klimatisierten Kreißsaal schweißgebadet. Ich verstand gar nicht, woher diese enormen Schmerzen herkamen. Mein ganzer Körper war angespannt. Atmen! Das hatte ich ganz vergessen. Dann atmete ich zu schnell. Ich drückte mich mit den Füßen gegen das Fußende und hatte das Gefühl, als würde dieses jeden Augenblick durchbrechen. Etwa 4 solcher Wehen hielt ich aus bis ich um Hilfe rief. Denn plötzlich spürte ich so einen Druck nach unten. Mir war, als müsste ich dringend auf die Toilette. Eine Hebamme kam. Ich sagte nur das Wort „Druck“ und schon war sie wieder weg. In gefühlter Lichtgeschwindigkeit stand auch schon die Oberärztin vor mir, die mich am Tag zuvor noch routinemäßig untersucht hatte. Sie setzte sich aufs Bett, zog sich einen Handschuh an und sagte zu mir, sie würde jetzt gerne zur Sicherheit nach dem Muttermund tasten. Wenn da alles gut ist, dürfte ich zur Toilette. Sie half mir beim Ausziehen der Hose. Beim Tasten wimmerte ich und entschuldigte mich. „Frau W., Sie müssen sich gar nicht entschuldigen. Sie sind heute ganz anders als gestern.“ Sie blickte zur Hebamme und sagte: „Muttermund 8-9 cm auf.“ WHAT?! In dem Moment war mir klar, was anstand: Ein Kaiserschnitt, da die beiden auf deutlich unter 2kg geschätzt wurden. OÄ und Hebamme waren sich da ebenfalls einig: „Spontan schaffen sie nicht.“ Ich war ihrer Meinung. Augenblicklich standen 6 Personen um mich herum. Irgendwer zog mich aus, irgendwer zog mir was an. Die OÄ und der Anästhesist klärten mich im Telegrammstil auf, sprachen mir Mut zu und berieten sich, ob eine Vollnarkose notwendig sei. Ich wehte vor mich hin. „Wenn Sie jemanden anrufen möchten, sollten Sie dies jetzt tun.“ Zum Glück hatte ich mein Handy da! Ich rief den Herzmann an: „Es geht los! Komm schnell!“ und legte auf, ohne eine Antwort abzuwarten, da die nächste Wehe kam und ich auf keinen Fall wollte, dass unser Telefonat mit einem Schrei endete.
Ich hing übrigens noch immer am Wehenhemmer, der mir dann aber entfernt wurde. Dafür gab es nun allerhand anderen Kram und plötzlich befand ich mich im OP. Eine Wehe musste ich noch veratmen bevor es die Spinalanästhesie gab, denn der Anästesist war sich sicher, dass eine Vollnarkose unnötig sei. Ich bin ihm dafür so dankbar! Das Team arbeitete ruhig, die wichtigsten Personen stellten sich mir kurz vor während ich verkabelt wurde. Dann wurden meine Beine ganz warm und schnell wurde der Vorhang vor mein Gesicht gehangen. Erst jetzt wurde mir wirklich bewusst, dass der Herzmann nicht anwesend war. Es machte mich traurig, dass er die Geburt unserer Kinder verpassen würde.
„Der Papa ist da!“, rief die Oberärztin euphorisch. Welcher Papa? Ich blickte nach hinten und sah ihn: Ganz in grün gekleidet mit so lieben Augen, die nur meinem Herzmann gehören konnten. „Schön, dass du es geschafft hast.“, sagte ich etwas benommen. Keine Minute später spürte ich etwas kleines heißes hinter dem Vorhang auf meiner Brust: Mein Baby! Er wurde sofort in den Nebenraum gebracht. Das wusste ich im Vorfeld und war somit nicht beunruhigt. Unser 2. Sohn war nicht ganz so leicht herauszulocken, doch auch er wurde mir auf die Brust gelegt und kam zu seinem Bruder nebenan. Der Herzmann blieb bei mir. Mir wurde mehrmals schlecht, der Kreislauf sackte auch manches Mal ab, doch ich bekam immer sofort etwas dagegen. Das Nähen kam mir ewig vor, doch ich war relativ schnell wieder im Kreißsaal zur Beobachtung. Geboren wurden die beiden um 9.55/56 Uhr.
Kannst du dich daran erinnern, als du die Kinder zum ersten Mal gesehen hast?
Nachdem sie untersucht wurden und alles unauffällig war kam der Kinderarzt mit einem kleinen Bündel zu mir und ich erschrak erst als beide gleichzeitig darin waren. Sie hatten ganz süße Mützen auf und ich staunte über ihre langen Finger und die heiße und weiche Haut. Man musste mir nicht sagen wer wer war. Ich wusste es und fragte mich die ganze Zeit „Das sind meine Kinder?“. Ich konnte es nicht glauben, dass wir nun Eltern waren! Schon da waren sie für mich die perfektesten und schönsten Kinder, die ich je gesehen hatte.
So eine Frühgeburt fordert die Nerven. Was geht /ging euch durch den Kopf?
Da ich 13 Tage vor der Entbindung bereits im Krankenhaus lag, sprachen mehrere Ärzte mit mir über die sehr wahrscheinliche Möglichkeit einer Frühgeburt. Ich wurde über Risiken aufgeklärt, wobei mir gleichzeitig auch immer wieder Mut gemacht wurde, dass die beiden schon eine gute Woche erreicht hätten und daher viele Risiken geringer seien.
Ich hatte Angst vor eventuell bleibenden Schäden. Das wollte/will ich nicht für sie. Als Mutter fühlt man sich bereits in der Schwangerschaft mehr verantwortlich für alles, was mit den Kindern ist, finde ich. Damit tut man sich selbst keinen Gefallen, doch so war es bei mir. Ich hatte Angst vor Beatmungshilfen, sie in den Kästen zu sehen und es nicht ertragen zu können. Ich fühlte mich einfach sehr schuldig, auch wenn es absolut nicht meine Schuld war. Und ich war traurig, dass sie durch einen Kaiserschnitt zur Welt kommen mussten.
Später dann, als klar war, dass es ihnen mehr als gut geht und sie keinerlei Anpassungsschwierigkeiten hatten, war die Sehnsucht riesig. Besonders als ich entlassen wurde. Ebenso sah man Nachbarn an, dass sie sich nicht trauten, einen anzusprechen. Mein Babybauch war nicht zu übersehen und plötzlich war der weg, doch ein Kinderwagen war eben auch nicht dabei. Das schmerzte. Wir waren Eltern und doch keine.
Wie waren eure Ärzte? Hattet ihr gutes Personal im Krankenhaus?
Das Team im OP war wundervoll! So stelle ich mir das vor, wenn man so etwas erleben muss oder möchte. Sie arbeiteten schnell, ohne hektisch zu wirken. Da war so viel Routine und trotzdem wurde ich als Mensch nicht vergessen. Sie achteten darauf, dass meine Intimsphäre möglichst nicht verletzt wird (ich lag kurzzeitig barbusig auf dem OP- Tisch, eine Schwester half mir beim Anziehen), erklärten mir alles haarklein, auch wenn ich gar nicht fragte, die Schwestern, die meine Söhne in Empfang nahmen, stellten sich mir vor und gratulierten hinterher überschwänglich.
Ich lag im Vorfeld und auch nach der Entbindung auf der Gyn- Station und fühlte mich dort wohl. Manche Bettnachbarinnen waren gewöhnungsbedürftig, aber mich fand sicher auch nicht jede toll. Die Schwestern auf Station waren ebenfalls freundlich und kompetent. Auch hier wurde mir von nahezu jeder gratuliert. Wir hatten wirklich Glück.
Das Team auf der Neo war riesig und doch kannte man sich schnell. Wir wurden respektvoll behandelt und in Ruhe gelassen als klar war, dass wir die Handgriffe drauf hatten. Auch haben wir oft zusammen lachen können und die Kinder- nicht nur unsere- wurden stets liebevoll behandelt. Es gab dort 1,2 Schwestern, die ich nicht so mochte, aber sie arbeiteten korrekt und somit konnte ich damit leben. Mit der Zeit wuchs das Selbstbewusstsein und ich hörte gar nicht hin, wenn sie klugscheißen wollten. Die Ärzte waren immer erreichbar, kompetent, sehr einfühlsam und verständnisvoll und auch hier sehr lieb zu den Kindern.
Was ist die fordernste Situation jetzt?
Anfangs war es für mich die Tatsache, eine Bindung zu ihnen aufzubauen. Beide waren in Inkubatoren untergebracht. Durch meine Kaiserschnitt- Narbe konnte ich mich anfangs nur sehr schlecht bewegen. Sie lagen da in diesen Brutkästen und es fiel mir schwer, zu verstehen, dass dies meine Kinder sind. Ich hatte mit einigen Schuldgefühlen zu kämpfen. Ich wollte zu meinen Kindern, wollte mich aber auch ausruhen. Die Hormonumstellung war da auch keine Hilfe. Später war es die Tatsache, dass vieles fremdbestimmt lief, auch wenn wir auf der Neo und Frühchenstation gut behandelt wurden. Es ist eben ein Krankenhaus und dieses hat einen bestimmten Ablauf von dem nicht abgerückt wird. Hält man sich nicht dran, hat man ggf. das Nachsehen. Das Wort „Versorgungszeit“ lässt mich noch immer erschaudern. So müssen die Kinder, wenn sie nicht mehr im Inkubator untergebracht sind, innerhalb einer Stunde komplett versorgt worden sein: Wickeln, wiegen, Temperatur messen, eventuell baden (1x die Woche), füttern und wenn dann noch Zeit ist, kann man kurz kuscheln. Mit entsprechender Routine schafft man alles ohne Probleme in dieser Stunde. Aber zu akzeptieren, dass die Kinder danach wieder ins Bett müssen, auch wenn ich noch gar nicht dazu bereit bin, war schon schwierig für mich.
Wie geht es deinem Mann damit?
Nach außen hin schien ihn das alles nicht zu belasten. Aber natürlich war es das auch für ihn. Ich glaube sogar noch mehr als für mich, denn er sorgte sich zusätzlich um mich. Ich hatte schließlich eine nicht unerhebliche OP hinter mir und ließ mich an Tag 5 aus dem Krankenhaus entlassen. Wenn es mir dann mental oder körperlich nicht gutging, machte er sich natürlich Sorgen. Und um nicht irgendwen zu belasten ( das ist meine Annahme), schwieg er. Er ist immer schon mein Fels in der Brandung gewesen und dies zeigte sich in dieser Situation abermals. Sehr schlimm war es glaube ich ganz am Anfang für ihn als er plötzlich krank wurde und weder mich noch die Jungs besuchen kam. Zu groß war die Angst, man könne irgendwen anstecken. So erlebten wir viele „Erste Male“ jeder für sich.
Was kannst du Mamas von Frühchen raten?
Lebt im Hier und Jetzt. Nicht in der Vergangenheit und nicht in der Zukunft. Versucht die Situation so gut es geht zu akzeptieren, denn man macht sich das Leben nur noch unnötig schwerer, wenn man ständig mit sich hadert. Durch den seltsamen Hormoncocktail in einem ist dies aber absolut nicht einfach.
Wenn euch etwas nicht passt, dann sagt das auch! Ihr seid keine Gäste auf der Neo/Frühchenstation oder Zuschauer. Euer Kind/Eure Kinder wird/werden dort versorgt, ggf. auch wirklich behandelt und sind Patienten dieses Krankenhauses. Das heißt aber nicht, dass ihr nicht den Mund aufmachen könnt. Und immer am Ball bleiben. Wenn ihr stillen wollt, dann nervt jeden Tag bis sie euch lassen. Wenn ihr Kuscheltier UND Spieluhr dort haben wollt, dann wird das so gemacht.
Und: Gönnt euch Auszeiten von dem Krankenhauswahnsinn! Es ist niemandem geholfen, wenn ihr mit euren Nerven am Ende seid. Seelisch ist dies schon belastend genug. Wenn dann noch der Körper streikt, solltet ihr einen Gang runterschalten. Niemand wird euch böse sein oder schlecht von euch denken. Wochenbett wird euch so schon ein Fremdwort sein. Also lacht auch wieder, trefft euch mit Freunden, lest ein Buch oder bereitet die letzten Sachen vor bevor die Kinder nach Hause kommen. Denn eines ist ganz klar: Diese Zeit geht vorbei und spätestens dann wird alles gut!
Wer von euch ist Frühchenmama? Wer möchte seine Erlebnisse und Erfahrungen teilen? Schreibe uns doch: einerschreitimmer@gmx.at
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Sehr interessanter Artikel :) Werde ich unbedingt meiner Freundin zeigen.
Danke für die schönen und ehrlichen Worte. Ich als Frühchenmama von nun 20 Monate alten Zwillingsjungs, kann kaum glauben, dass wir das alles auch durch haben. Mir fällt es heute noch schwer an der Uniklinik nur vorbei zufahren. Die Gefühle, Gedanken und Erinnerungen sind so vielseitig und nur schwer für aussenstehende zu verstehen. Mir haben die Glückwünsche nach der Geburt jedesmal weh getan. „Genißt die Kuschelzeit“ „Viel Spaß beim kennenlernen“ und „oh gott sind die klein“ etc. heute weiß ich dass das niemand böse gemeint hat, damals war es wie Ohrfeigen für mich.
Alles Gute euch vieren.