Mit ungefähr zwei Jahren war der Thronfolger bekennender Fan unseres hiesigen Supermarktes. Wenn der Wocheneinkauf anstand wedelte er schon aufgeregt mit seinen Schuhen und rannte im Schweinsgalopp in Richtung Einkaufswagen, in dem er dann thronte und häufig und lautstark Ansprachen an das gemeine Volk hielt. Genau genommen waren seine stärksten Charakterzüge zu dieser Zeit seine Offenheit und übersprudelnde Fröhlichkeit, mit der er auch gerne andere Kunden ansteckte und zum Lachen brachte – mich natürlich auch! Ziemlich schnell waren wir in dem Laden bekannt und wurden schon von den netten Kassierinnen winkend an der Tür begrüßt „Ladies and Gentleman, the king of Gute-Laune is in da house“.
Da wir eine sehr musikalische Familie sind ist es nicht ungewöhnlich, dass auch unsere Kinder ein Faible für Musik haben und so tanzte und sang der Thronfolger wo und wann es ihm danach beliebte, meistens auch sehr zur Freude völlig fremder Menschen. Meistens…
Eines schönen Tages – Herr Throni war wieder bester Stimmung – schoben wir im Thronfolgermobil (aka Einkaufswagen) durch den Laden, als aus den Lautsprechern „Happy“ von Pharrell Williams ertönte. Throni bekam große Augen und quiekte „Mama Mama, ein Liiiieeeeed“ und begann im Einkaufswagen mit seinem kleinen Popo zu wackeln, mit den Armen zu fuchteln und lachend in Phantasiesprache mitzusingen. Seine Begeisterung für den Song war so ansteckend, dass ich selber auch nicht mehr an mich halten konnte und zwischen Dosenobst und Tomatenmark mittanzte und ihm vorsang. Unterbrochen wurden wir von einer Dame mittleren Alters, die an uns vorbei schob, kurz stehen blieb um den Kopf zu schütteln und mich anfauchte „Bei so einem Vorbild lernt das Kind sicher nie sich zu benehmen“.
Das macht man nicht! Wieso eigentlich nicht…?
Nein, im Supermarkt tanzt man nicht, man kauft ein. Mehr nicht. Als typischer Ostwestfale müsste ich dabei auch unfreundlich aus der Wäsche schauen und möglichst niemanden grüßen oder gar ein Mehr-Satz-Gespräch anfangen. Einkaufen und raus aus dem Laden, so will es das Gesetz der Spießigkeit.
Kinder müssen lernen sich zu benehmen, sie müssen lernen dass man im Supermarkt nicht tanzt, sie müssen lernen, dass sie nur leise spielen dürfen und möglichst nicht als Kinder unangenehm auffallen. Wenn möglich, sollten sie gar nicht auffallen. So funktioniert Erziehung nun mal.
Was wäre wenn wir alle mal drauf pfeifen?
Was wäre wenn uns allen mal egal wäre, was man so tun und lassen darf? Vielleicht hat der Thronfolger ja Recht und der Supermarkt ist der beste Ort zum Tanzen? Vielleicht sind unsere Kinder viel klüger als wir und wissen instinktiv wie man glücklich ist, wir erziehen es ihnen nur einfach ab?
Hand aufs Herz – wann habt ihr das letzte Mal geschaukelt? Das macht man als erwachsener Mensch nicht? Warum nicht? Schaukeln macht Spaß und das hört nicht auf, wenn man ein paar Zentimeter gewachsen ist und die Haarpracht vielleicht schon einen Touch Silber enthält.
Habt ihr schonmal gesehen, wie ein Kind eine Schnecke beobachtet? Ganz nah am Boden sieht die Welt ganz anders aus. Was spricht denn dagegen? Die Klamotten werden dreckig? Die kann man waschen. Man verschwendet Zeit, in der man etwas Wichtigeres machen könnte? Mal ehrlich, was ist für ein Kind in dem Moment wichtiger, als eine Schnecke zu beobachten? Rein gar nichts.
Was sollen die Leute denken, wenn ich als erwachsene Frau in eine Pfütze springe oder Seifenblasen fange? Mir egal, für mich zählt was mein Kind denkt und dass seine Augen mit den spritzenden Wassertropfen um die Wette funkeln.
Ich wünsche mir einen Elternratgeber, geschrieben von Kindern
Von Attachment Parenting bis Einschlaftraining, für jedes Bedürfnis der Eltern gibt es einen Ratgeber oder einen schlauen Menschen, der uns erzählt, wie wir unser Leben am besten/klügsten/effizientesten zu gestalten haben und Eltern stecken ihre Nasen in Bücher, anstatt in die Luft, wo es so viel zu entdecken gibt.
Was würden unsere Kinder uns mitteilen wollen, wenn sie einen Ratgeber schreiben dürften?
Liebe Mama, komm doch mal runter zu mir. Knie dich neben mich und schau, wie groß und aufregend die Welt von hier unten wirkt. Siehst du, wie groß diese Blume plötzlich ist? Und wie toll sie duftet, wenn man einmal kurz stehen bleibt und sich Zeit nimmt für das, was da so mühsam aus Sonne und Wasser gewachsen ist. Von hier unten kann ich Dinge sehen, die du von da oben so leicht übersiehst.
Liebe Mama, vielleicht lerne ich nichts fürs Leben, wenn ich in meiner Burg aus Decken und Kissen sitze und Schokokekse nasche, aber wolltest du nicht früher auch gerne einmal Prinzessin sein? Krabbel rein zu mir und schau wie aus der einfachen Decke eine Burg wird und wir beide uns vor dem fürchterlichen Drachen verstecken, der unsere Kekse klauen möchte.
Liebe Mama, schau nicht so traurig weil es regnet. Freu dich lieber mit mir wie die Blätter im Wind fliegen und der Regen neue Pfützen zum Springen für uns baut.
Liebe Mama, du kannst mir erzählen was du möchtest, aber lernen werde ich nur von dem, was du tust. Bist du glücklich, so bin ich es auch. Die Welt kann schön sein, wenn man sie lässt.
Was wurde aus der Frau im Supermarkt?
Zugegeben, die grantige Dame im Supermarkt hat mir in dem Moment den Spaß am Tanzen genommen und mich zum Nachdenken gebracht. Schade ich meinem Kind vielleicht wirklich, in dem ich ihn nicht möglichst früh in die gesellschaftlichen Gepflogenheiten einweihe? Bin ich eine schlechte Mutter, weil ich spiele und lache, anstatt meinen Kindern Regeln und Benehmen zu vermitteln?
Die Antwort gab mir ein älterer Herr vor dem Supermarkt, als ich gerade alle Einkäufe im Auto verstaut hatte. Ich wendete mich mit dem Thronfolger in Richtung Einkaufswagenparkplatz, als der nette Herr mit seinem Rollator plötzlich neben mir stand, seine Brille zurecht rückte und meinen Sohn angrinste. Er beugte sich leicht zu uns rüber und flüsterte „Wer wohl schneller ist mit seinem Rennwagen?“ Und bevor ich überhaupt verstand, was er meinte, startete er mit lauten imitierten Motorengeräuschen durch und ließ uns gar keine andere Wahl, als an einem wilden Wettrennen quer über den Parkplatz teilzunehmen. Herr Thronfolger hat natürlich haarscharf gewonnen (auch Dank der Vollbremsung unseres Gegners kurz vor der Ziellinie), applaudierte und quietschte wieder lautstark und zeigte so seiner grübelnden Mutter, einem völlig fremden älteren Herrn und ein paar umstehende Kunden wie einfach das mit dem Glücklichsein doch klappen kann. Mein kluger kleiner Junge!
Oh dieser Artikel bringt es so so wunderherrlich auf den Punkt! Ich bin Künstlerin, Pädagogin und vor allem seit 1,5 Jahren stolze Mama von „einer“ Tochter. Wir können einfach so so viel von unseren Kindern lernen und ich finde es absolut notwendig für ein glückliches Leben, seinem inneren Kind – samt all der Albernheit, Spontanität und Unvoreingenommenheit – einen Raum und festen Platz im Leben zu geben. Danke für diese Zeilen! Liebste Grüße Daniela