Das Leben ist ungerecht. Vor allem wenn es um Kinder und Familien geht: Da müssen Kinderwunschpatienten selbst für die Kosten ihrer Krankheit aufkommen und Frauen im „kritischen“ gebährfähigen Alter werden gekündigt, damit sie ihre Schutzrechte nicht nützen können. „Eine Sauerei“, findet Nina Katrin Straßner und holt tief Luft. Die Juristin und Kolumnistin der Brigitte MOM zerpflückt herrlich witzig das Gesetzbuch und deckt Ungerechtigkeiten auf, die wirklich haarsträubend sind. Wenn man sie nach ihren Hobbies fragt antwortet sie nur knapp: „In meiner Freizeit räume ich meinen Kindern hinterher und treffe mich bei mittelgutem Wein mit sehr guten Freundinnen. Ist das ein Hobby?“
Wir haben die 35-jährige Mutter zweiter Kinder zum Interview gebeten – ganz ohne Wein, dafür mit viel Humor und finden: Das ist vermutlich die witzigste Juristin nördlich des Äquators! Als „Juramama“ bloggt sie übrigens auch noch über den Alltag mit Kind und Kegel…
1) Stimmt es, dass Kinder gesetzlich dazu verpflichtet sind im Haushalt zu helfen?
Über diesen Paragraphen lache ich, seit ich Kinder habe und selbst in unserem aus Juristen bestehenden Haushalt verhalten sich unsere Kinder gesetzeswidrig, denn: Ja! Das stimmt. Unser BGB ist dem österreichischen Zivilrecht ja sehr ähnlich. Eures ist sehr alt, unseres ist uralt. Deswegen finden sich darin Paragraphen, die heute kaum noch Bedeutung haben, früher aber mal total wichtig waren, als die Familien noch ganz andere Strukturen hatten. Wir haben zum Beispiel allein vier Paragraphen im deutschen BGB, die regeln, wann man einen flüchtenden Bienenschwarm verfolgen darf und welche Maßnahmen man ergreifen darf, wenn man ihn wieder zur Rückkehr bewegen will. Die könnte man eigentlich auch mal zur Kindererziehung heranziehen.
2) Ok – sie müssen also: Und wenn sie es nicht tun? Kann ich dann vom juristischen Standpunkt aus das Taschengeld rückfordern? Oder sie in ein Heim stecken?
Ich habe erst letzte Woche mal wieder kurzfristig erwogen sie in die Babyklappe zu stecken. Leider sind sie mittlerweile zu dick dafür und meistens will man sie ja spätestens abends, wenn sie so niedlich kuschelig und friedlich schlafen, dann doch nicht missen. Der Haushaltsparagraph ist ein sanktionsloser Paragraph, er regelt nur eine Ausnahme zum „Verbot der Kinderarbeit“ für Kinder unter 13 im Jugendarbeitsschutzgesetz und wird dort auch ergänzt. Ein Kind, das sich weigert mitzuhelfen, hat vor der Judikative zumindest nichts zu befürchten.
3) Du bist eine witzige Juristin – das ist so wie ein feinfühliger Zahnarzt oder ein bescheidener Millionär. Haben die meisten Juristen denn nicht viel zu lachen?
Wie so oft kommt es ja darauf an, was man daraus macht und ob man für etwas brennt, oder nicht und ob man es sich leisten kann, sich trockener Themen auch mal mit Humor anzunehmen. Das Arbeitsrecht oder das Familienrecht beispielsweise sind sehr emotionale Rechtsgebiete, das kommt mir charakterlich sehr entgegen. Für meine Mandaten geht es um Existenzen und das ist ein starker Motor, sich aufzuregen, zu diskutieren und lebendig zu werden. Im Gerichtssaal selbst ist das nur bedingt möglich, da muss ich mich immer zusammenreißen und darf nicht wütend meine Robe knüllen oder zur Auflockerung einen Manta-Witz erzählen. Deswegen musste ich erst einen Blog und dann ein Buch schreiben. Juraratgeber in feinster Juristensprache gibt es ja schon genug.
4) In deinem gerade erschienen Buch geht es um rechtliche Fragen, die alle Eltern betreffen. Magst du uns das kurioseste Gesetz / die fieseste Ungerechtigkeit sagen?
Zum Leidwesen meiner Freude und Familie finde ich quasi in jedem Themenkomplex etwas, was ich in diesem Sinne verwursten kann, je nachdem um was sich das Tischgespräch gerade geht. Eines meiner Herzensthemen ist unser Rentensystem und die strukturellen Fehler, die wir seit Adenauers Zeiten einfach nicht in den Griff bekommen (wollen). Nach meiner Information seid ihr in Österreich außerdem noch schlechter dran, wenn es um Lohngerechtigkeit geht, hier sind unsere Länder europaweit Schlusslichter. Das ist unfassbar peinlich und ich erkläre in meinem Buch, wie das alles mit der Politik, den Bild von Frauen in den Medien und der Rechtsprechung der Gerichte zusammenhängt. Auch die Sorge wegen einer Schwangerschaft oder Elternzeit beruflich nicht weiterzukommen greife ich auf und versuche, die Strukturen zu erklären und Hilfestellung zu geben. Meine Fresse, das klingt alles voll langweilig. Ich würde das Buch ja jetzt nicht lesen wollen. Deswegen habe ich es sehr lustig gemacht. Das ist die einzige Chance diese Themen in die Köpfe zu bekommen ohne dass alle vor Langeweile sterben.
5) Beim Lesen deines Buches hat man oft das Gefühl, dass das Recht ganz schön ungerecht ist. Ist das nur bei Familien so?
Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand. Amen. Was gerecht und was ungerecht ist, liegt ja immer im Auge des Betrachters. Unsere alte Nachbarin fand meine spielenden Kinder im Garten auch total ungerecht für ihr nachmittägliches Feierabend-Ruhebedürfnis und manche finden stillende Mütter in Cafés belästigend. Kinder und Familien polarisieren, einfach weil sie so fundamentale Bedürfnisse haben. Daher kann man schon sagen, dass das Recht in einem so zentralen Bereich wie „Familie“, einen wahren Fundus für Ungerechtigkeiten bietet, gerade in einer Gesellschaft, die immer älter wird und sich die Bedürfnisse ständig im Wandel befinden. Vor den Kindern habe ich die Rechtsprechung zu diesem Thema auch nicht als so fundamental wichtig empfunden, wie heute.
6) Ein Kapitel handelt von der Ungerechtigkeit, dass bei Kinderwunsch-Patienten die Versicherung nicht alle Kosten übernimmt. Sauerei, oder?
Hier atme ich schon seit Jahren regelmäßig in eine Tüte um mich wieder abzuregen. Die Behandlungskosten einer funktionslosen Niere, die ebenfalls als Organ nicht heilbar sind, werden ganz selbstverständlich als Krankheit angesehen und über Jahrzehnte von unserem Sozialsystem und als Gemeinschaft von uns allen von den Krankenkassen finanziert. Gott sei Dank! Ein funktionsloser Hoden aber gilt in Deutschland als „Krankheit eigener Art“, weil eine Kinderwunschbehandlung nicht das Organ selbst wiederherstellt, sondern seine Funktion ersetzt. Nichts Anderes machen eine Prothese oder eine Blutwäsche.
Den ungewollt Kinderlosen zahlt die Krankenkasse aber nur einen kleinen Teilbetrag der Behandlungskosten, während die Belgier beispielsweise bis zu sechs Behandlungen voll erstatten. Weil die kapiert haben, dass nur Kinder unsere Gesellschaft in die Zukunft tragen. Familienpolitik findet komischerweise immer dann ihre Grenze, wenn sie Geld kostet, obwohl jedes Kind in unserem System im Schnitt deutlich mehr in die Sozialkassen einzahlt, als es kostet. Trotzdem schmückt sich fast jede Partei mit „Familienfreundlichkeit“. Die Argumente gegen eine Kostenübernahme sind teilweise so hanebüchen, da möchte man kotzen. Argh. Wo ist meine Tüte?
7) Du bist auf Arbeitsrecht spezialisiert: Warum sind Mütter für Arbeitgeber oft so unattraktiv? Das sind doch nervenstarke Multitaskerinnen…
Mütter beziehungsweise Eltern haben Schutzrechte. Das ist auch gut so. Ich möchte nicht in einem Land wie den USA leben, indem es keinen gesetzlichen Mutterschutz oder Elternzeit gibt. Diese Schutzrechte fliegen Eltern aber oft wie ein Bumerang um die Ohren, sobald sie diese Rechte nutzen wollen oder auch nur in einem „kritischen Alter“ sind und sie vielleicht nutzen könnten. Hier fehlen in unserem Recht Sanktionen, wenn ein Arbeitgeber diese Rechte ungerechtfertigt verwehrt. Eltern sind hier gezwungen zu klagen, das kostet so viel Geld und Nerven, dass viele Eltern das neben der Kindererziehung gar nicht durchhalten und wer verklagt schon gerne seinen Arbeitgeber. Bei uns sind auch die hohen KiTa-Gebühren ein Problem. Wenn ein Teilzeitgehalt fast komplett für die Betreuung draufgeht, muss man sich nicht wundern, wenn viele Mütter den Weg in ihren Beruf nicht in der Weise wiederfinden, wie es notwendig wäre, um die Lohnlücken endlich zu schließen. Es ist ein Kreislauf. Der macht einen fertig. Den müssen wir endlich mal durchbrechen und nicht nur politisch so tun, als ob.
8) Und was machen wir jetzt mit den Erkenntnissen? Wie können Eltern nun doch zu ihrem Recht kommen? Müssen wir uns besser vernetzen?
Wir müssen diese Themen gemeinsam attraktiv für die Politik machen und mit den Arbeitgebern in den Diskurs gehen. Das geht aber nur, wenn man seine Rechte kennt und auch verinnerlich, warum man die eigentlich hat. Eltern fühlen sich oft als Bittsteller der Gesellschaft, dabei sind sie genau das Gegenteil. Man muss keinesfalls immer einer Meinung sein, aber man muss sich zielführend auseinandersetzen. Jeder mit seiner eigenen Lebensrealität und Geschichte. Das ist ja das spannende am Recht, das versucht, all das zu spiegeln. Nur manchmal eben total verzerrt. Das gilt auch für mein Buch, das aus der Perspektive einer Anwältin geschrieben ist, die Kinder hat und sich täglich mit den Herausforderungen herumschlägt.
Ein jeder darf meine Schlussfolgerungen im Buch vollkommen beknackt finden, aber zumindest hat eine Auseinandersetzung schon mal zu einer Meinung geführt, selbst wenn es nicht meine ist. Eltern arbeiten viel zu sehr gegeneinander. Das spielt aber nur denjenigen in die Karten, die Politik zu ihren Lasten machen. Wenn die eigene Kavallerie schon bei Themen von Beikost oder lärmenden Kindern im Supermarkt desertiert, haben wir keine Chance.
9) Hast Du noch eine kluge Frage, die mir jetzt nicht einfällt?
Ja. Wie wäre es mit: „Nina, gibt es Fragen, auf die Du auch mal ganz kurz antworten kannst?“
10) Und?
Nein.
Ich glaube das Buch muss ich mir unbedingt besorgen :-)
Ich sammle übrigens Samstags immer Buchrezensionen per Verlinkung, also, das würde auch gut passen
http://jolina-noelle.blogspot.de/2017/04/buchtipp-stresst-ihr-noch-oder-liebt.html
Der Junge eines Kollegen hat eine Oberschenkelprothese, seit er von einer Leiter gefallen ist. Er meinte, dass er froh ist, dass das Kind damit so gut umgehen kann. Mit Kindern ist das Leben aber immer aufregend.
Schon zu lesen, dass du dich als Anwältin auch emotional mit deinen Mandanten identifizierst. Meine Tante ist Anwältin für Familienrecht und sie brennt auch für die Themen. Das scheint eine sehr gute Voraussetzung für den Beruf zu sein.
Buch verspricht interessant und fesselnd zu sein, wie es aus dem Interview kommt. Für meine Freundin wäre es bestimmt vom Interesse, denn die Kinderlosigkeit hat die beiden zur Scheidung geführt. Vielleicht sind noch nicht alle ausprobiert? Es kann doch auch sein. Die Trennung ist ja die Lösung nur für einen.
Schon ihr Titel: Keine Kinder sind auch keine Lösung, hat mir gleich gefallen und auch der Artikel ist toll. Ich interessiere mich sehr um Familienrecht und Familienleben insgesamt. Witzige Fakten, wie die Pflicht von Kindern im Haushalt mitzuhelfen machen diesen Text sehr lebendig!
Interessant, dass es solche ulkigen Paragraphen gibt, nach denen Kinder verpflichtet sind im Haushalt mitzuhelfen. Meine Kinder verhalten sich demnach ebenfalls gesetzeswidrig. Ich werde mal meinen Onkel danach fragen, wenn der wieder mal bei uns zum Essen eingeladen ist.