Spieleerfinder Thomas Nezold
Portrait mit Pandemie: Spieleerfinder Thomas Netzold in seinem "Spielzimmer" mit rund 500 Brettspielen.

Spiele-Erfinder: „Ein Spiel muss nicht pädagogisch wertvoll sein, es muss Spaß machen“

Neo-Papa Thomas ist nebenberuflicher Spieleerfinder. Sein bisher größtes Spiel heißt „Sticht oder nicht“. Der 39-jährige  Wiener besitzt rund 500 Berettspiele, schreibt für spieletest.at und verbringt seine Freizeit gerne bei geselligen Spieleabenden. Aber nur dann, wenn Töchterchen Lisa auch damit einverstanden ist und ihm die Zeit dazu lässt…

Du hast schon drei Spiele erfunden: Was macht ein gutes Spiel aus?

Die simpelste Antwort darauf lautet: Das Spiel muss Spaß machen. Hierbei kommt’s auf einige Komponenten an:

    • Zunächst darf ein Spiel niemals übermäßig kompliziert sein. Hat man das Gefühl, man ist nicht in einem Spiel sondern in einem Buchhaltungssystem gelandet (gerne kombiniert mit einer unüberblickbaren Materialflut) kommt schnell Langeweile und Frustration auf. Zudem führt das mit schöner Regelmäßigkeit dazu, dass man die meisten Regeln vergisst. (Wer so etwas erleben und ein paar Stunden seines Lebens sinnlos wegwerfen will, dem sei etwa das aus gutem Grund völlig unbekannte Völkerpoker 7 Ages oder der Zombieshooter Dark Darker Darkest empfohlen.)
    • Stichwort Regeln: Die Regeln des Spieles müssen intuitiv sein. Gute Spiele mit komplexen (nicht zu verwechseln mit komplizierten) Regeln erkennt man daran, dass man das Spiel trotz seines Umfangs schnell erlernt, da die Regeln ineinander übergehen bzw. sich logisch von selbst ergeben. Ein gutes Beispiel dafür ist Kevin Wilsons 2010er-Adaption des Computerspieles Sid Meier’s Civilization. Es kann alles Wichtige, was auch die Vorlage konnte, schafft es aber, sein Thema fast schon leichtfüßig zu gestalten.
Spannend, klug und eine absolute Empfehlung: Das Brettspiel Civilization für Kinder ab 13 Jahren.

    • In den meisten Fällen ist ein nicht unwesentlicher, wenn nicht sogar der wesentlichste Punkt: Ich muss das Gefühl haben, ins Spielgeschehen aktiv eingreifen zu können. Bin ich willenloser Spielball der Mächte (sprich: Das Spiel spielt MICH, nicht umgekehrt), will ich bald nix mehr von diesem Spiel wissen.Einfaches Beispiel: Einfach nur 5 Würfel würfeln und auf eine gute Kombination hoffen, ist öde. Darf ich aber noch zweimal beliebig viele Würfel nachwürfeln, kommt Würfelpokern raus, zurecht ein Klassiker, der inzwischen bereits in seiner ureigensten oder auch leicht abgewandelter Form auch in große Brettspiele eingebaut wird (Ancient Terrible Things, Das Ältere Zeichen, …)
      Im Dschungel auf der Suche nach Schätzen: Ein Spiel ab 8 Jahren.

       

    • Beschränken sich Entscheidungen auf „Ziehe ich nach Links oder nach rechts?“ wird ein Spiel schnell langweilig. Ausnahmen sind hier nur bewusst geschriebene Sinnlosigkeiten wie Mankomania oder meine heißgeliebte Fluxx-Serie.
Wie verjubelt man eine Million? Ein Spiel für Kinder ab 8 Jahren.

Kampf dem Zombies! Ein Spiel für Kinder ab 8 Jahren.

  • Zuletzt: Die Spieldauer. Es gibt sehr wenige Spiele, deren Dauer über 120 Minuten hinausgehen darf (Twilight Imperium fällt mir ein.). Die meisten Spiele, die diese Marke sprengen, ziehen sich danach fürchterlich, drehen sich im Kreis oder brauchen zu lange, um überhaupt erst in Fahrt zu kommen. Wer einmal in einer Endlospartie Risiko oder Monopoly gelandet ist, wird wissen, was ich meine.

Was macht ein gutes Spiel für Kinder aus? Welche pädagogischen Werte soll es vermitteln?

Das mit der Pädagogik im Spiel ist so eine Sache: Tatsache ist, dass Spiele, die versuchen, pädagogische Inhalte anzubringen, ziemlich ausnahmslos langweilig sind. Kindern macht es Spaß, als Katze Mäuse zu jagen, sich als Godzilla-Monster zu prügeln oder den Schlossgeist Max jagen. Will man ihnen über ein Spiel einhämmern, wie man sich benimmt oder am sichersten im Straßenverkehr auftritt, ist der Erfolg gerne der, dass aus „Boardgames“ schnell „Bored Games“ wird. Die einzige Pädagogik, die zumindest ich in Kinderspielen akzeptiere, ist das junge Genre des Kooperationsspieles, in dem alle Spieler gemeinsam ein Ziel erreichen müssen. Allerdings steht auch hier der Spaßfaktor definitiv im Vordergrund. Toll finde ich in diesem Zusammenhang die „Ratz Fatz Spielewelt“.

Holzfiguren, Geschichten und Gedichte in einem Spiel für Kinder ab 3 Jahren.

Etwas, das Kinder zudem gerne in einem Spiel haben, ist eine Art „Spezialeffekt“ wie etwa die leuchtenden Figuren aus Nacht der Magier, Segelschifffiguren antreibende Blasebalge wie in Der schware Pirat, 3D-Pläne in verschieden Ebenen, so gesehen in Maulwurf Company, Magnetspielereien im Stil von Fluch der Mumie oder sprechende Computer wie in Wer war’s!?

Auf die Plätze, buddelt los! Für Kinder ab 8 Jahren.

Abenteurer aufgepasst! Finde den Schatz ab 8 Jahren.

Finde den Ring des Königs! Ein Spiel ab 6 Jahren.

 

Ein sicherer Radar für ein gutes Kinderspiel: Es ist ein gutes Kinderspiel, wenn es auch den Erwachsenen Spaß macht und die Eltern gerne mitspielen oder im Idealfall auch ohne kindliche Beteiligung das Spiel hervorholen.

Wie erfindet man ein Spiel? Welche Zutaten braucht es?

Den besten Tipp kann ich hier nur von Douglas Adams zitieren:

„Kaufen Sie sich einen Schreibtisch, der nicht in sich zusammenbricht, wenn man verzweifelt den Kopf dagegenschlägt.“

Davon abgesehen: Prinzipiell braucht es eine Inspiration, und diese lässt sich nun mal leider nicht bestellen oder künstlich herbeiführen. Dabei ist es durchaus legitim, wenn die Inspiration ein schlechtes Spiel ist, das eine gute Grundidee kunstvoll versemmelt. So entstand mein erstes brauchbares (aber wegen des Themas Fußball unveröffentlichtes) Spiel.

Eine wichtige Eigenschaft ist zudem eine Einstellung, die ich persönlich „gesunde Faulheit“ nenne. Diese bewirkt nämlich, dass man automatisch immer die einfachste und bequemste Lösung für ein Problem sucht… Und das wirkt sich dann gerne positiv auf das Spiel aus.

Weiters: Es sollte klar sein, was das Spiel sein soll. Ein Glücksspiel? Ein furioses Abenteuerspiel? Vorrangig ein Würfelspiel? Ein Strategie- oder Taktikspiel? Nach diesen Kriterien gilt es, die Spielelemente zu setzen. Es macht wenig Sinn, ein Spiel zu gestalten, in dem es vorrangig darum geht, Monster zu bekämpfen, und den Kampf dann derart langweilig und stumpfsinnig zu gestalten, dass man nach einer Runde schon genug hat. (ja, ich spreche mit Dir, Dante’s Inferno).

Ein nicht unwichtiger Punkt ist: Das Thema des Spieles ist wichtig (auch wenn das Thema darin besteht, dass es kein Thema gibt). Aber: Das Thema muss dem Spielsystem angepasst werden, nicht umgekehrt (ein Fehler, den US-Autoren gerne machen). Wird das System so hingebogen, dass jede Eventualität des Themas vorkommen kann (wie z.B. es gibt keine Beschränkung an Karten, die Fähigkeiten oder Würfel der Spieler blockieren , so gesehen in dem eigentlich guten „Das Ältere Zeichen“), wird das Spiel schlecht balanciert und unfair sein oder sich selbst blockieren.

Ist eine Testversion fertig, sucht man sich eine Spielerunde, die ehrliches Feedback gibt (Eltern sind z.B. im Normalfall ungeeignet, sie werde es auch abfeiern, wenn der Sprössling einen leeren Spielplan auslegt). Und dann ist wichtig: Hören Sie auf Ihre Kritiker. Wenn man Ihnen z.B. sagt, dass ein Spiel zu kompliziert ist, dann ist es das vermutlich auch…

Welche Spiele würdest du für Kinder ab 3 empfehlen?

Das ist extrem schwer zu sagen: Ein Kind, das bereits von klein auf am Spieltisch sitzt, wird mit 3 Jahren schon Spiele spielen, die andere mit 5 noch nicht schaffen. Mit Klassikern wir Memory oder Themen-Dominos macht man wahrscheinlich am wenigsten verkehrt.

Tierkinder-Memory für Knirpse ab 4 Jahren.

Memory-Spiele sind bei Kindern generell sehr beliebt, deshalb rate ich bei Kindern, die zumindest bis 6 zählen können, zu Geistertreppe und Hexentanz, beides Brettspiele mit Memory-Effekt. In beiden Fällen gilt es, sich zu merken, welche Spielerfarbe sich unter dem Geist bzw. Hexenrock versteckt. Hexentanz ist nichts anderes als ein Mensch ärgere Dich nicht mit versteckten Figuren. In Geistertreppe sollte man sich merken, unter welchem Geist die Figur der eigenen Farbe steckt (festgehalten von Magneten), aber mit der ständigen Gefahr, dass man plötzlich mitten im Spiel eine völlig andere Farbe erhält.

Man sollte sich meiner Erfahrung nach nur keine Hoffnung machen, bei diesem Spielen als Erwachsener gegen seine Kinder zu gewinnen.

 

Welcher Vogel sitzt zuerst im Nest? Ein Spiel ab 3 Jahren.

 

PSSSSST! Nur nicht den Geist erschrecken – ein Spiel für Kinder ab 3 oder 4 Jahren.

Am Blocksberg ist Walpurgisnacht! Ein Spiel für Kinder ab 8 Jahren.

Was ist das Wichtige am Spielen?

Das Wichtigste ist eindeutig der Spaßfaktor. Drängt man seinen Kindern Spiele mit gezwungenem Lernfaktor auf, werden sie wohl nie wieder ein Spiel ansehen. Dieser Spaßfaktor ergibt sich aus dem Miteinander und dem Gefühl, eine spaßige Aufgabe erfüllen zu müssen. Dabei sollte aber auf keinen Fall etwas Essentielles vergessen werden: Die Kinder müssen auch verlieren lernen!

Ab welchem Alter hat dich die Spiele-Leidenschaft erwischt?

Glaubt man meiner Mutter, so habe ich schon am Boden Tierdomino gespielt bevor ich laufen konnte. Ob das stimmt oder nicht kann ich aus wohl nachvollziehbaren Gründen weder bestätigen noch verneinen, jedenfalls erinnere ich mich an kein Lebensalter, in dem ich nicht gespielt hätte.

Meinen ersten Versuch, ein Spiel selbst zu entwerfen, startete ich mit ca. 10 Jahren. Es war ein Fußball-Manager im Stile der damals kursierenden Bundesliga Manager-Spiele für PC und Commodore. Der Versuch ging (natürlich) katastrophal daneben. Dennoch habe ich immer wieder nach brauchbare Ideen gesucht.

Mein erstes Spiel, das man auch SPIELEN kann (und das ich auch noch besitze) entstand ca. um 1998/99. Ironischerweise hat es genau das Thema, an dem ich mit 10 Jahren noch fundamental gescheitert war. Genau das ist übrigens der Grund, warum es unveröffentlicht ist: Fußballspiele greifen die Verlage nicht mal mit der Kneifzange an. Und wer einige Vertreter des Genres kennt, der weiß auch, warum…

Was sind deine Projekte für später?

Konkret habe ich im Moment noch ein paar Ideen in der Pipeline: Mein Entwurf zu einem Westernspiel namens Tombstone, das ich rund um den Hauptmechanismus  meines Fußballspieles inszeniert habe, wurde knapp nach der Veröffentlichung von Sticht oder nicht zunächst abgelehnt, doch die damit verbundene Nachdenkpause hat dem Spiel gutgetan. Tombstone hatte noch essentielle Fehler, die ich jetzt hoffentlich eliminieren konnte. Demnächst starte ich damit einen weiteren Versuch.  Weiters sucht gerade ein Kartenspiel im Setting „Indiana Jones“ mit dem derzeitigen Titel Die vergessene Pyramide seinen Weg in einen Verlag. (Inwieweit diese spiele ihre Titel behalten, wenn sie vielleicht irgendwann einmal auch den Weg in die Regale finden, ist unklar. Mein Spiel „Sticht oder nicht“ hieß ursprünglich Nix is‘ fix.)

Portrait mit Pandemie: Spieleerfinder Thomas Netzold in seinem "Spielzimmer" mit rund 500 Brettspielen.
Portrait mit Pandemie: Spieleerfinder Thomas Nezold in seinem „Spielzimmer“ mit rund 500 Brettspielen.

Da eine besondere Schwäche meinerseits Spiele sind, die Geschichten erzählen (Titel wie „Descent oder A Touch of Evil“), und dabei meine besondere Liebe dem Horror und der Schatzsuche gehört, arbeite ich an einem Geisterhausspiel mit dem Arbeitstitel „Haus der Schatten“ sowie einem Spiel namens „Die Suche nach dem Heiligen Gral“. Letztere ist als Teil einer Trilogie geplant, die ich als Jäger-Trilogie bezeichne und in denen die Spieler jeweils in einem anderen Setting und natürlich mit variierten Regeln nach einem Schatz suchen lässt. Ebenso hoffe ich, dass sich auch mit dem System von Haus der Schatten Geschichten außerhalb eines Geisterhauses erzählen lassen.

Allerdings sind diese Titel eher monumentalerer Natur, d.h. es wird wohl noch etwas dauern, bis diese Entwürfe final spielfertig sind….

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