Achtsamkeit? Was ist das überhaupt? In einer Welt, in der wir konsumieren und digitalisieren, in der wir optimieren und rationalisieren? Achtsamkeit ist Wertschätzung und Demut vor dem Menschen – gerade das ist doch in einer Familie wichtig. Darum schreibt Birgit in ihrem absolut fabelhaften Blog „Fräulein im Glück“ über die Kleinigkeiten des Lebens, die eigentlich ganz großartig sind und uns glücklich machen. In der stressigen Vorweihnachtszeit haben wir sie als Expertin im Entschleunigen zum Interview gebeten um ihre Tipps für ein stressfreies und achtsames Weihnachtsfest zu finden. Und als Geschenk bekommt ihr nochdazu ein kostenloses Buch zum Thema…
Warum sind wir gestresst – stressen wir uns selber oder stresst uns die Umwelt?
Fräulein im Glück: Also Stress ist eigentlich nichts Negatives. Die Reaktionen, die unser Körper in Stresssituationen zeigt, waren oder sind immer noch eine extrem nützliche Sache. Sind wir einer gefährlichen Situation ausgesetzt, müssen wir schnell handeln, da ist Denken nicht angesagt, eine blitzschnelle Entscheidung zwischen Flucht oder Angriff, kann uns vielleicht sogar das Leben retten. Im Körper passiert dazu einiges, es werden die passenden Hormone wie Adrenalin ausgeschüttet, die Atmung beschleunigt sich, der Puls wird schneller und auch das Denken wird eingeschränkt, das alles hilft dabei, dass wir so blitzschnell auf Bedrohungen reagieren können. Das Problem ist nur, diese richtig gefährlichen Situationen für die diese Reaktionen gemacht sind, die gibt es nur (noch) selten. Dafür löst unsere moderne Lebensweise diese Stressreaktionen aus, und zwar permanent, unser Körper fühlt sich von all dem inneren und äußeren Druck bedroht, will uns da rasch hinausbringen, aber es gibt da kein schnell einmal davon laufen. Für den Dauerbetrieb sind diese Mechanismen nicht gedacht. Dieser negative Stress, unter dem wir dauernd stehen, der ist anstrengend, der laugt aus, der kann uns krank machen. Das Unwort dabei ist das Multitasking. Wir können unser Leben nicht mehr bewusst lenken, der Stress unter dem wir stehen, lenkt uns.
Wie kann man Stress am besten bewältigen – wie machst du das?
Fräulein im Glück: Stress kann man am Besten bewältigen, indem man anfängt. sich selbst und die eigenen Auslöser kennenzulernen. Was stresst mich ganz persönlich? Mich stresst es zum Beispiel ungemein mit beiden Kindern, in der Früh das Haus zu verlassen. Das passiert zum einen, weil ich einfach ein schlechtes Zeitmanagement habe, um das Zeitmanagement zu verbessern können ganz konkret Rituale helfen. Wie man stressfrei Weihnachten feiert, das habe ich schon einmal hier beschrieben.
Zum anderen sind es aber ganz klar meine Gedanken, die mich stressen. Ich bin zwar noch mitten im Tun mit den Kindern, aber gedanklich schon viel weiter, sehe innerlich, dass ich zum Xten Mal zur wöchentlichen Teambesprechung zu spät komme, denke an die genervten Gesichtsausdrücke der Chefs usw. Ich bin in diesem Moment nicht mehr auf die Kinder konzentriert, werfe ihnen nur nebenbei Fetzen zu wie „zieht euch an“ etc., die fühlen sich von dieser „Halbherzigkeit“ aber gar nicht angesprochen. Wenn ich es in solchen Momenten schaffe, mich selbst zu beobachten und ganz in der Situation zu sein, dann treffe ich vielleicht bessere Entscheidungen und werde nicht zu ungeduldig, was ja dann die Sache meistens eskalieren lässt. Oft genügt eine kleine Atemübung, um die Ruhe zu bewahren, aber langfristig ist es natürlich harte Arbeit an sich selbst und ich mache diese Arbeit über die Schulung meiner Achtsamkeit.
In deinem Blog geht es um Minimalismus und Achtsamkeit: Entschleunigt es denn, wenn man wenig besitzt?
Fräulein im Glück: Für mich ist die Antwort ganz klar ja! Mit Kindern ist das Leben ohnehin sehr kompliziert, dazu kommt, dass man so viel Zeug anschafft und unheimlich viel geschenkt bekommt, besonders beim ersten Kind, man hat aber keine Zeit mehr um sich um das ganze Zeug zu kümmern und irgendwann sind die Kinder groß genug, um alles herauszuzerren. Das macht das Familienleben finde ich noch anstrengender. Und dann noch die vielen Erwartungen, die man an sich selbst hat. Jede/r möchte die perfekte Mutter oder der perfekte Vater sein. Das alles ist sehr viel und irgendwann ist man überwältig oder man fühlt sich überfordert. Wenn man einmal kräftig reduziert, dann wird alles automatisch ein bisschen leichter (obwohl es zuerst auch eine Zusatzarbeit ist). Man hat wieder Luft zum Atmen. Ich finde das Zitat so passend: „In einem aufgeräumten Zimmer ist auch die Seele aufgeräumt“ und deshalb beginnt man zuerst im Außen, bei den eigenen Sachen, einmal kräftig Entrümpeln und dann versuchen, dass man nicht wieder so viel Zeug hinein bekommt. Wenn diese erste Ebene einmal geschafft ist, dann ist man schon recht geübt im „Loslassen“, dann kann man damit Anfangen die eigenen Erwartungen ein bisschen zu reduzieren, denn es geht beim Elternsein nicht darum perfekt zu sein, gottseisgedankt, es geht eher darum, so wie es Lienhard Valentin mal geschrieben hat: „ so gut es geht und die Umstände es erlauben, unser Leben und unsere Liebe zu unseren Kindern zu leben – mit allen Unzulänglichkeiten, aber mit viel Mitgefühl“ und irgendwann wird man vielleicht erkennen, dass wir schon alles haben, damit es uns mit unseren Kindern gut geht, damit wir glücklich sind und nichts hinzufügen müssen, weder Zeug, das uns sicher nicht glücklicher macht, noch müssen wir selbst als Eltern noch besser werden.
Wir leben in einem Zeitalter der ständigen Erreichbarkeit – wie geht der Mensch damit um?
Fräulein im Glück: Schlecht und ich nehme mich damit nicht aus. Ich bin definitiv zu viel am Handy oder am Computer. Ich denke, dass das Internet wirklich eine super Erfindung ist, die großartige Möglichkeiten bietet, leider gehen wir damit nicht sehr verantwortungsvoll um und was das bewirken wird, werden wir erst sehen. Ich denke, problematisch ist dabei nicht so sehr, was wir wie oft im Internet machen, sondern was wir damit in unseren echten Leben verpassen. Für unsere Kinder bedeutet es aber noch einmal etwas anderes, wir hatten noch eine handyfreie Kindheit, aber unsere Kinder wachsen bereits damit auf und erleben auch von uns, dass wir nur noch in diese kleinen Kasterln schauen, teilweise blenden wir unsere Kinder auch völlig aus und antworten ihnen nur halbherzig. Dabei ist eine aufmerksame Interaktion mit unseren Kindern ganz wichtig, damit sie die Signale der nonverbalen Kommunikation erlernen und damit Qualitäten wie Einfühlsamkeit entwickeln können oder wenn man will überhaupt sozial intelligent werden. Das Thema ist aber sehr sehr komplex und wird gerade heiß diskutiert. Fakt ist, dass wir in einer Welt leben, die anscheinend immer näher rückt und doch vereinsamen Menschen immer mehr. Ich denke, wir sollten unser eigenes Verhalten achtsam beobachten und vielleicht ergibt sich dann automatisch eine gute Antwort für uns selbst.
Minimalismus und Achtsamkeit – wie passt das in einen Blog, der ja ein digitales Medium ist? Prinzipiell ist die Online-Branche ja das ganze Gegenteil…
Fräulein im Glück: Ja, das ist sehr schwierig. Ich liebe das Bloggen, ich konnte damit so viele Fähigkeiten entwickeln, habe viele neue und interessante Menschen kennengelernt und nicht zuletzt hilft es mir dabei am „Achtsamkeitsball“ zu bleiben. Aber natürlich, man sitzt oft vor dem Computer und fängt auch oft an sich mit anderen zu vergleichen, was es nicht leichter macht, weniger zu wollen. Ich habe für mich die klare Entscheidung getroffen keine Apps wie Facebook oder Twitter mehr auf meinem Handy zu haben, das reduziert die Zeit extrem, die ich dauernd auf mein Handy schauen will. Ich mache beim Bloggen auch nur das, was ich gemütlich schaffe und wenn ich merke es stresst mich, dann lasse ich es einfach.
Wie wirst du Weihnachten feiern? Wie schaffst du es, dass du dabei entspannt bist, als working Mom von zwei Kindern?
Fräulein im Glück: Im letzten Jahr haben wir erstmals alleine zu Hause gefeiert. Keine Verwandtenbesuche, nur die Kinder, mein Freund und ich. Ungewohnt unaufgeregt und trotzdem schön. Die Kinder bekamen von uns ein gemeinsames Geschenk und jeder noch ein kleines, wir Eltern schenkten uns gar nichts. Genauso werden wir das heuer wieder machen. Ansonsten schenke ich nur meinen Eltern und meinen Geschwistern etwas, davon ist auch einiges gebraucht, einfach Sachen, die ich schon zu Hause habe, das tut nicht nur der Umwelt gut, sondern erspart mir ganz viel Last-Minute-Besorgungsstress. Auch Verwandtenbesuche, Feiern, Weihnachtsmärkte, das alles reduzieren wir, dafür gibt es ein paar schöne, einfache Familienrituale, wie das gemeinsame Anzünden unseres Kerzenadventkalenders (ganz ohne Schoko und Spielzeug) und das Lesen von Weihnachtsgeschichten. Das reicht und macht Weihnachten nicht nur entspannter sondern auch glücklicher.
Welche Beiträge werden von deinen Lesern besonders geschätzt?
Fräulein im Glück: Zum Thema Minimalismus mag ich eigentlich alle Beiträge zu meiner Challenge #chaosfreieskinderzimmer, zum Thema Achtsamkeit auf jeden Fall diese beiden hier: „Mit Kindern zur Ruhe kommen: mit diesem Ritual lässt du den Tag zufrieden ausklingen“ und „Wie du es schaffst, dass deine Kinder alles liebend gerne probieren“.
Hier kannst du das kostenlose Achtsamkeitsbuch von Birgit runterladen und durchblättern.
Das „Fräulein im Glück“ gibt es übrigens auch auf Facebook und Instagram.
____________
„Einer schreit immer“ nimmt sich das Interview zu Herzen! Wir gehen jetzt auf weihnachtliche Blog-Urlaub! Wir wünschen euch von ganzem Herzen ein besinnliches Fest mit eurer Familie und einen fabelhaften Start ins neue Jahr! Wenn ihr das erste Posting in 2017 nicht verpassen wollt, dann meldet euch doch für den kostenlosen Newseltter von „Einer schreit immer“ an. Dann seid ihr live dabei, wenn es ab 8. Jänner wieder los geht!
[mailpoet_form id=“1″]