Der Mutterinstinkt klingt wahnsinnig plausibel, nach einem Bild inniger Liebe, gepaart mit innerer Kompetenz, ausgelöst durch Hormone. Quasi „Wissen und Liebe auf Knopfdruck“. Nur gibt es den Mutterinstinkt nicht. Diese Erkenntnis moderner Hirnforschung belegt Journalistin Evelyn Höllrigl Tschaikner in ihrem Buch „Mythos Mutterinstinkt„. Elternschaft wird so in ein völlig neues Licht gerückt und entlastet damit Frauen auf der ganzen Welt. Wir haben eine der Autorinnen, Evelyn, zum Interview getroffen.
Bald ist Muttertag: Sind wir Mütter Superheldinnen?
Evelyn Höllrigl Tschaikner: Na ja, die Bezeichnung „Heldin des Alltags“ ist sicher nett gemeint, dennoch geht sie mit einer gewissen Problematik einher. Denn, was ist, wenn sich der Alltag für Frauen beziehungsweise Mütter nicht so leicht und schwungvoll anfühlt? Das Problem mit dem Bild dieser alleskönnenden Superhelden-Mama ist ein schleichendes. Mit all den Idealvorstellungen werden Erwartungen mitgetragen, die sich ganz schön schwer anfühlen können. Fast schon so, als würde der gut gemeinte Superheldinnen-Umhang nicht beflügeln, sondern eher die Luft abschnüren. Immer dann, wenn wir als Gesellschaft Mütter idealisieren, ist darin auch schon das Scheitern und die Schuld mit inbegriffen: Gut oder schlecht. Helikopter-Mama oder Rabenmutter. Unschuldig oder schuldig. Erfüllend oder traumatisierend. Superheldin oder eben Komplettversagerin. Wenn wir Müttern den Superheldinnen-Umhang wieder ausziehen, dann sehen wir sie als das, was sie wirklich sind: Menschen, die eben nicht alles nur wegen ihres Geschlechts können und die es zu unterstützen gilt.
Mutterinstinkt? Gibt den wissenschaftlich gesehen?
Nein, der Mutterinstinkt wurde nie durch Studien erwiesen. Er ist im Grunde ein Märchen, das uns über die Jahrhunderte erzählt wurde um Zuständigkeiten klar zu definieren: Die Mutter gehört zum Kind, sie kann es am besten, sie kann es „instinktiv“. Wichtig ist aber, zu verstehen, dass die Mutterrolle seit jeher ein soziales Konstrukt war und immer noch ist. All jene Frauen, die in den ersten Monaten oder Jahren mit Baby Schwierigkeiten hatten, führten es auf ihr persönliches Versagen zurück. Mittlerweile wissen wir, dass es so etwas wie einen geschlechtsspezifisch angeborenen Mutterinstinkt (per Definition „Wissen und Liebe auf Knopfdruck“) nicht gibt. Elternschaft – auch Mutterschaft – ist ein Prozess, der erlernt wird – trial and error. Und die Liebe kann durchaus schon da sein, sie darf aber auch noch wachsen.
Das Gehirn verändert sich, wenn man Eltern wird? Wie ist das bei Adoptiveltern?
Die neuronalen Veränderungen bei Eltern sind super spannend, sie sind nämlich dafür verantwortlich, dass wir nicht mehr an den Mutterinstinkt glauben müssen. Das Gehirn von Schwangeren unterzieht sich einem Generalumbau, um sich bestmöglich auf das Baby vorzubereiten. Aber: Diese Veränderungen passieren auch bei Vätern und anderen primären Bezugspersonen – nur zeitversetzt. Genau das ist der Schlüssel zu einer neuen Elternschaft. Dieses Wissen ist eine enorme Entlastung. Nicht nur für Mütter, auch für Väter und für alle Regenbogen-, Bonus- und Adoptiveltern. Alle können sich um Kinder kümmern. Die einzige Voraussetzung ist, sie müssen es wollen.
Wie ist das mit dem Mental Load – der ist ja immer noch sehr mit den Frauen verbunden.
Das ist stark verwebt. Wenn wir vom Glauben an den Mutterinstinkt loskommen merken wir, dass wir Elternsein lernen müssen, jeden Tag aufs Neue und unabhängig vom Geschlecht. In vielen Familien wird das nicht gelebt, so ist die Frau zuständig für alles, was den Nachwuchs betrifft und das geht mit einer enormen Mehrfachbelastung und Mental Load einher. Dabei ist es absolut okay und auch notwendig (dem Partner) Verantwortung abzugeben, das ist in keinster Weise ein Versagen, wir sagen nicht umsonst „it takes a village to raise a child“.
Feministische Mutterschaft – wie kann das gelingen?
Feminismus ist im Grunde der Gedanke, dass alle Menschen gleich sind. Übersetzt auf die Partner- und Elternschaft ist es die Annahme, dass beide Eltern sich im selben Maße verantwortlich für das Wohlergehen der Kinder fühlen. Das gelingt, indem die Zuständigkeiten für die Kinder nicht direkt bei der Mutter verortet werden, denn: Väter können sich auch kümmern. Sie müssen es nur wollen und dann oft genug üben.
Was brauchen Frauen, die Kinder haben, am dringendsten?
Wenn wir in dem Wissen leben, dass es keine, allein dem weiblichen Geschlecht zugewiesene Fähigkeit gibt, besonders gut für ein Kind zu sorgen, so nimmt dies eine gewaltige Last von den Schultern der Mütter. Und: Es nimmt niemanden was weg. Wir wollen mit unserem Buch niemanden innige Gefühle absprechen, denn wir sind uns einig, dass es eine elterliche Intuition gibt. Diese ist aber nicht nur leiblichen Müttern vorbehalten und schon gar nicht instinktiv. Der Verzicht auf die Idee vom Mutterinstinkt spricht der Frau keine Kompetenz ab, sondern attestiert anderen Menschen vielmehr die Fähigkeit, eine genauso liebevolle und umsorgende primäre Bezugsperson für ein Kind werden zu können. Es befreit die Mütter von ihrem vermeintlichen Superheldinnenstatus und schenkt anderen Menschen, unabhängig von ihrem Geschlecht, von biologischer oder nichtbiologischer Elternschaft die wissenschaftlich bestätigte Berechtigung, dass sie – genauso wie Mütter – in Bezug auf Elternschaft alles lernen können. Das mag auf den ersten Blick vielleicht weniger romantisch klingen als die bedingungslose, instinktive mütterliche Liebe, aber dafür ehrlicher.
Wie wurde euer Buch rezipiert? Es entlastet viele Frauen…
Unser Buch ist seit einem Jahr auf dem Markt und es kam sehr gut an. Ich habe vor einem Monat ein Reel dazu gepostet und lustigerweise kamen erst dann „kritische“ Stimmen. Die waren zu 99% von Männern und hatten gefühlt weniger mit dem sachlichen Inhalt des Buches zu tun als mit der Tatsache, dass wir – als Frauen – das publiziert haben. Wir wurden aufgefordert unsere Vita offenzulegen, die Quellen anzugeben, wir wurden beleidigt und es wurde uns sogar „mehr weibliche Demut“ nahegelegt. Wir haben uns die Frage gestellt, ob das wohl anders gewesen wäre, wenn wir dieses Buch als männliche Autoren veröffentlicht hätten. Was sehr erschreckend aber auch sehr bezeichnend ist.
Was kann die Politik tun? Was können wir alle tun?
Die Politik kann einiges tun. Im Wissen, dass die neuronalen Veränderungen, die Elternschaft erleichtern mit Zeit einhergehen, wäre eine fair aufgeteilte Elternzeit zunächst ein Anfang. Wir wissen mittlerweile nämlich auch, dass die Entlastung der neugeborenen Mutter durch einen Anwesenden Partner (oder Partnerin) sich positiv auf ihre Gesundheit auswirkt, was in weiterer Folge auch das Gesundheitssystem entlastet. Strukturell müsste noch sehr viel passieren, um Familien zu fördern und zu entlasten: Von einer verkürzten Arbeitszeit bis hin zu der Schließung des Gender Pay Gaps… tja, wir haben noch einen weiten Weg vor uns.
Dass die Politik noch viel für Mütter tun kann, steht außer Frage! Aber bitte lasst uns hier auch die Väter nicht vergessen. Mittlerweile sind viele Papas bereit, längere Elternzeiten zu nehmen, um sich um das Neugeborene oder die Kinder zu kümmern. Es gibt aber noch genug Arbeitgeber, die das ungewöhnlich finden und wo es innerhalb des Unternehmens wenig Akzeptanz gibt. Hier muss noch ein Kulturwandel passieren, damit wir am Ende über echte Gleichberechtigung reden.