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Interview: Warum Rollenspiele so wichtig für die Entwicklung von Kindern sind

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Theaterpädagogin Nathalie Fratini im Interiew.

Als Theaterwissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Theaterpädagogik und soziale Arbeit, lehrt Nathalie Fratini unter anderm an der Universität Wien, der Hochschule Mannheim und arbeitet in der Lehrerfortbildung. Die 34-jährige Luxemburgerin hat eineiige Zwillingsbrüder und liebt die Bretter, die die Welt bedeuten. Sie erzählt von der Bedeutung von Rollenspielen.

Danke, liebe Nathalie, dass du dir Zeit nimmst. Sag: Warum sind Rollenspiele so wichtig für die Entwicklung von Kindern?

Nathalie Fratini: Das ist ganz einfach: Rollenspiele ermöglichen es Kindern, in fiktiven Kontexten unterschiedliche Rollen auszutesten und so immer neue Verhaltensweisen kennen zu lernen. Dies beeinflusst ihre Entwicklung in vielerlei Hinsicht sehr positiv. Ich möchte da mal die wichtigsten Aspekte ein wenig genauer beleuchten…

Grob gesagt kann man sechs wunderbare Aspekte des Rollenspiels hervorheben:

  • Zum einen werden Phantasie und Vorstellungskraft angeregt und weiter ausgebaut. Die Kinder überlegen sich immer neue Spielvarianten und testen ihre Ideen aus. So entsteht Kreativität, eine der wichtigsten Eigenschaften, um auch später sein Leben erfolgreich gestalten zu können.
  • Dann wird auch noch das Sozialverhalten positiv beeinflusst, weil meistens in der Gruppe gespielt wird und die Kinder lernen andere Ideen zu akzeptieren. Ausserdem lädt das Rollenspiel dazu ein, das Verhalten anderer Menschen auszutesten und so spielerisch zu entdecken, wie man sich in verschiedenen Situationen fühlt. Auch das angeleitete Rollenspiel, zum Beispiel in der Kita,kann hier sehr hilfreich sein. Ein Beispiel wäre das Märchen „ Das hässliche Entlein“ um das Thema Mobbing im Spiel zu bearbeiten.
  • Die sprachliche Ausdrucksfähigkeit kann sich im Spiel weiter entwickeln,wenn zusammen gespielt und diskutiert wird. Harriet Finlay-Johnson, Grundschullehrerin aus Sussex und Pionierin des Drama Education in Grossbritannien, hat bereits 1912 in ihrem Buch The dramatic way of teaching beschrieben, dass Rollenspiele effektiv dazu beitragen, den Wortschatz der Kinder zu fördern und sie ein besseres Sprachgefühl entwickeln.
  • Hinzu kommt auch noch, dass das Selbstwertgefühl der kleinen Spieler gestärkt wird, wenn sie im Spiel erleben, dass sie Entscheidungen treffen und neues Wissen erschliessen können ohne immer auf die Hilfe von Erwachsenen zurück zu greifen. Vor allem Klein- und Vorschulkinder erleben im Alltag immer wieder Situationen, wo sie vermittelt bekommen, dass sie zu jung für die richtig interessanten Tätigkeiten sind. Das Rollenspiel bietet hier die Gelegenheit in Als-ob-Situationen zu handeln und verschafft so Erfolgserlebnisse.
  • Außerdem können Kinder auch Ängste im Rollenspiel abbauen, indem sie belastende Situationen im Voraus durchspielen oder Erlebnisse nachstellen. Diese Auseinandersetzung erleichtert den emotionalen Zugang und die Kinder können mit dem Thema abschliessen. Ein Beispiel wäre das Teddybär Krankenhaus1 in Insbruck, das einmal jährlich stattfindet und Kinder einlädt zusammen mit ihrem Kuscheltier den Krankenhausalltag kennen zu lernen. So sollen Ängste vor ärztlichen Behandlungen abgebaut werden.
  • Tja und last but not least: Natürlich wird bei jedem Rollenspiel auch Motorik und Körpersprache geschult, weil die Kinder mit dem ganzen Körper spielen und sich ganzheitlich ins Geschehen einbringen.Wir sehen also: Das Theaterspielen und die Rollenspiele sind eine wahre Wunderwaffe für die Entwicklung eines Kindes.

 

Welches Spielzeug ist für welches Alter geeignet? Und wie viel Spielzeug ist zu viel? Hier gehts zum Interview mit Sonderpädagogin Katja, vom Blog „Das gewünschteste Wunschkind“.

Ab welchem Alter beginnen Kinder mit Rollenspielen?

Nathalie: Bereits im Kleinkindalter lässt sich beobachten, dass das Kind Situationen aus seinem Umfeld nachspielt. Hierbei handelt es sich am Anfang um das Symbolspiel, bei dem das Kind mit Alltagsgegenständen einfache Handlungen der Erwachsenen nachahmt. Aus einem Stuhl und einem Teller, wird ein Auto in dem das Kind selbst das Lenkrad bedient. Vor dem dritten Lebensjahr können die Kleinen aber noch nicht verstehen, dass es sich um ein Spiel handelt. In dem Moment, in dem sie in der Rolle agieren, sind die die Person selbst. Beim Baden der Babypuppe ist das Kind nun die Mutter und stolz darauf diese Tätigkeit ausführen zu können.

Ab dem Vorschulalter können Kinder Realität und Spiel unterscheiden. Sie schlüpfen nun gerne in fiktive Rollen, sei es im freien Spiel, bei dem sie ihre eigene Ideen umsetzen können oder im angeleiteten Spiel, bei dem ein Erwachsener das Thema vorgibt und meistens eine pädagogische Zielsetzung verfolgt. Viele Kinder begeistern sich auch für das Puppentheater, bei dem mit Figuren als Stellvertreter gespielt wird. Ein Beispiel hierfür wäre das Kasperltheater, das sich nach wie vor grosser Beliebtheit bei den Kindern erfreut.

Im Grundschulalter kommt nun auch das darstellende Rollenspiel dazu, bei dem die Kinder richtige Aufführungen erarbeiten und stolz einem Publikum vorstellen. Im Unterricht werden nun auch verschiedene Methoden eingesetzt, die auf der Idee des Rollenspiels basieren. Ein Beispiel wäre das Jeux Dramatiques nach Léon Chancerel und Heidi Frei, das oft zur Förderung sozialer Kompetenzen angeboten wird2. Bei dieser Form des Rollenspiels wird mit Märchen und Geschichten.  Im Bildungsbereich tauchen Variationen von Rollenspielen bis ins Erwachsenenalter auf. Vor allem im Unterricht oder Coaching gibt es ganz interessante Methoden.

Wenn Kinder besonders aggressive Rollenspiele ausleben, muss man sich Sorgen machen? Wann muss man sich generell Sorgen machen?

Nathalie: Diese Frage wurde schon oft im psychologischen Kontext diskutiert. Prinzipiell soll keiner der Spieler Gewalt erleben oder zu Handlungen gezwungen werden, in denen er sich nicht wohl fühlt. Diese Regeln sind unumstösslich und müssen von allen Mitspielern akzeptiert werden. Trotzdem wollen Kinder in Rollenspielen auch einmal Situationen oder Rollen spielen, die eher gewaltbereit sind. Hier wäre es als Eltern wichtig, das Spiel zu beobachten und Gesprächsbereitschaft signalisieren, damit das Kind die erworbenen Eindrücke besprechen und richtig einordnen kann. Hier zeigt sich dann auch, ob Grund zur Sorge besteht, weil das Kind zum Beispiel etwas Erlebtes nachgespielt.

Wie können Eltern das Rollenspiel unterstützen?

Nathalie: Die meisten Eltern sind nicht so begeistert, wenn die gebeten werden über längere Zeit an einem Rollenspiel teilzunehmen. Wer einmal über Stunden im Einkaufsladen den Kunden mimen musste, weiss warum…

Trotzdem sind die Eltern wichtige Spielpartner, vor allem wenn sie merken, dass im Spiel eines der Kinder übervorteilt wird oder immer nur ungeliebte Rolle zugeteilt bekommt. Hier könnte der kurzfristige Einsatz eines Erwachsenen sinnvoll sein, um das Geschehen in eine andere Richtung zu lenken. Nicht eingreifen würde ich, wenn den Kindern die Ideen ausgehen, denn ein wenig Langweile kann anregend sein, die Gedanken in andere Richtungen zu lenken. Viele Kinder lieben es aber, wenn ihnen eine Verkleidungskiste zur Verfügung gestellt wird mit Kleidung und Accessoires der Erwachsenen, weil sie so einen leichteren Zugang zu verschiedenen Rollen bekommen.

Was sagt die Wissenschaft dazu?

Nathalie: Es gibt viele spannende Studien zu dem Thema. Zum Beispiel fanden Forscher 2009 (Gabi dan Droske das Buch „Theater von Anfang an!: Bildung, Kunst und frühe Kindheit“3 ) heraus, dass  Kinder, die sehr an   Rollenspielen aber auch den Theateraufführungen interessiert waren, sich im Anschluss offener für kreative Projekte zeigten  und ein besseres Sprachgefühl entwickelten. Dieses Forschungsprojekt hat dann dazu beigetragen, dass in mehreren Kitas verstärkt kulturelle Angebote erarbeitet wurden, die auch das angeleitete Rollenspiel beinhalten.

Ein anderes interessantes Buch hierzu wäre Theaterspielen mit Kindern ab zwei Jahren von Stefanie Jerg. Viele der hier vorgestellten Spiele lassen sich auch zu Hause umsetzen und begeistern Kinder bis zum vierten Lebensjahr.

Hast du Ideen für die ganzen Familie, auch mit älteren Kindern?

Nathalie: Wer mit der ganzen Familie kreativ sein möchte, kann verschiedene Variationen von Geschichtenwürfel austesten. Besonders die Story Cubes haben sich als tolles Spiel heraus gestellt, das jung und alt fasziniert. Auf jeweils neun Würfeln sind verschiedene Symbole abgebildet und der Spieler soll mit diesen eine Geschichte erfinden. Je verrückter umso besser, Hauptsache alle Symbole kommen darin vor. Je nach Gusto können diese Geschichten natürlich auch nachgespielt werden. Andere Hersteller haben auch Würfel zum Thema Piraten oder Märchen, was toll ist, wenn die Kinder sich sehr für diese Bereiche interessieren.

Ein anderes Spiel, das auch bei Partys oder bei größeren Gruppen sehr beliebt ist, nennt sich Die Werwölfe von Düsterwald (erst ab 10 Jahren) und gehört zur Gattung der Mafiaspiele. Jeder Spieler bekommt eine Karte zugeteilt mit einer Rolle und erhält somit seine Aufgabe. Es gibt vor allem die Bewohner des Dorfes – manche mit Extra-Fähigkeiten- und die Werwolfe, die nachts ins Dorf schleichen und eine Person töten. Das Ziel des Spiels besteht darin, dass die Bürger die Wölfe enttarnen und umgekehrt, so dass eine Personengruppe gewinnt.

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Weiterführende Literatur:

    •  Frei, Heidi: Jeux Dramatiques mit Kindern 2: Ausdrucksspiel aus dem Erleben. Methodik Aufbau Arbeitsblätter . Basel: Zytglogge Werkbücher, 1990
    • Dan Droske, Gabi: Theater von Anfang an!: Bildung, Kunst und frühe Kindheit . Bielefeld: transcript 2009.
    • Pohl, Gabriele: Kindheit – aufs Spiel gesetzt. Vom Wert des Spielens für die Entwicklung des Kindes. 4.Auflage. Berlin: Springer Spektrum, 2014.
    • http://www.teddy-krankenhaus.at/ibk/ Zugriff: 9.11.2016

 

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Wer schreibt hier eigentlich?

Zwillingsmama, Kinderdompteurin, Geburtstagsveranstalterin, Chaosmanagerin und „Mädchen für eh alles“: Unter dem Netz-Pseudonym Anna Attersee schreibe ich hier pädagogisch wertlos über das turbulente Leben mit Kindern – schonungslos ehrlich, denn einer schreit hier bei uns immer… Im richtigen Leben bin ich Journalistin, arbeite im Bereich „Irgendwas mit Medien“ und habe kürzlich mein erstes Buch veröffentlicht. Mehr über mich und unsere Familie findest du HIER.

 

 

 

 

Warum Rollenspiele so wichtig für die Entwicklung von Kindern sind.
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